Wien – Noch nie seien Redaktionen mit so viel Hass konfrontiert gewesen, rekapituliert Anna-Maria Wallner, Medienjournalistin der Presse, die Berichterstattung auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015: "Wir mussten im September teilweise alle Foren auf diepresse.com schließen." Dem Kurier sei es mit seinem Online-Portal ähnlich ergangen, ergänzt Konrad Kramar. Um der Flut an rassistischen Kommentaren Herr zu werden, musste bei vielen Artikeln die Kommentarfunktion deaktiviert werden, sagte der Kurier-Außenpolitikredakteur am Montag in Wien bei einer Diskussion zum Thema Flüchtlinge und Journalismus.

Menschenrechte in Wien

Als Veranstalter fungierte das Fundamental Rights Forum, das von 20. bis 23. Juni in Wien 400 Experten zum Thema Menschenrechte versammelt, um über Flüchtlinge, Inklusion und das digitale Zeitalter zu debattieren.

Im Gegensatz zu diepresse.com und kurier.at hat derStandard.at seine Foren offen gelassen. Viel Einsatz und personelle Ressourcen seien notwendig gewesen, um diese Diskussionen zu zivilisieren, sagt Eric Frey, Chef vom Dienst beim STANDARD: "Unser Leser sind eher keine FPÖ-Unterstützer, aber viele waren besorgt, und wir haben den Vorwurf zu hören bekommen, dass wir Probleme ignorieren." Medien müssten ihren Lesern die Zusammenhänge erklären – etwa zwischen Politik und Wirtschaft, aber: "Man kann nicht alles auf einmal erzählen."

Die Flüchtlingskrise habe die Bedeutung von Journalismus sehr gut vor Augen geführt, sagt Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter: "Wir haben Fakten recherchiert und analysiert." Gerüchte, die sich über Social Media wie ein Lauffeuer verbreitet hätten, konnten so widerlegt werden. Das Resultat sei eine "Renaissance der klassischen Tugenden des Journalismus" gewesen, so Klenk: "Wir müssen uns mehr mit Experten beschäftigen und weniger mit Social Media."

Die Qualität der Berichterstattung stehe und falle mit der Balance, sagt Wallner. Qualitätsmedien hätten sie gefunden. Auf der einen Seite gehe es um die Herausforderungen und Probleme im Zusammenhang mit Flüchtlingen, auf der anderen Seite um das Sichtbarmachen erfolgreicher Initiativen. Etwa in der Integration oder indem lokale Projekte vor den Vorhang geholt würden.

Generell mehr Transparenz wünscht sich Kramar. Medien seien oft nicht weniger ratlos als Politiker: "Auch das müssen wir transportieren." (omark, 7.6.2016)