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Außenminister Sebastian Kurz

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Flüchtlinge auf einem Rettungsboot im Mittelmeer.

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Wien/Berlin/Tripolis – Geht es nach Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), sollen Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa abgefangen und in ihre Ursprungsländer geschickt werden. Zudem sollen Migranten, deren Recht auf Asyl noch abgeklärt werden muss, auf Inseln im Mittelmeer interniert werden. Für seinen Vorschlag erntete er Kritik von mehreren Seiten.

Diese beinhalte "nur die halbe Wahrheit" verwies Kurz am Montagabend in der "ZiB2" auf das "Bombengeschäft" der Schlepper und die Toten im Mittelmeer. Er habe ein "gutes Gespräch" mit Kanzler Christian Kern (SPÖ) gehabt, mit dem er "in vielen Fragen" übereinstimme.

Er sage "nicht, dass die Unterbringung in Australien in Ordnung ist. Europa sollte diesbezüglich "wesentlich besser und menschlicher sein". Wahr sei aber auch, dass auf dem Weg nach Australien mittlerweile keine Flüchtlinge mehr ertrinken und viele legal ins Land gebracht werden.

"Kein Ticket nach Mitteleuropa"

"Die Rettung aus dem Mittelmeer darf kein Ticket nach Mitteleuropa bedeuten", bekräftigte Kurz seinen umstrittenen Vorschlag. Er kritisierte, dass derzeit Schlepper "entscheiden, wer durchkommt und nicht wir als Staat".

Nach den Vorstellungen des Außenministers sollen die EU-Staaten ähnlich wie Australien mehr Flüchtlinge über Resettlement-Programme aufnehmen. In Österreich "sind jedenfalls 10.000 bis 15.000 Menschen pro Jahr bewältigbar", so Kurz. Resettlement-Programme hätten den Vorteil, dass man sich die Flüchtlinge aussuchen, sie gefahrlos ins Land bringen und auch die Integrationsmaßnahmen vorbereiten könne.

Zum Vorhalt, dass er der beste Mann der FPÖ in der Regierung sei, meinte Kurz, in puncto Resettlement und Entwicklungszusammenarbeit "ist meine Position eher mit der Position der Grünen zu vergleichen".

Absage von EU

Von der EU bekam Kurz für den Vorschlag eine Absage. Das Vorgehen Australiens gegen Flüchtlingen "ist nicht ein Modell für uns", sagte ein Kommissionssprecher am Montag. Eine Sprecherin verwies auf das Prinzip des "non-refoulement", der Nichtzurückweisung. "Das wird sich nicht ändern."

"Konkrete Vorschläge zur Beratung in den europäischen Gremien sind uns noch nicht bekannt", kommentierte ein Sprecher von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel den Vorschlag. Es sei "eine europäische Diskussion, die zu führen ist im Rahmen der Diskussion über eine Neufassung des europäischen Asylrechts."

ÖVP steht hinter Kurz

Aus der ÖVP bekommt Kurz für diese Vorschläge weiter Rückhalt. Nachdem bereits Peter McDonald, Generalsekretär der Bundes-ÖVP, dem Außenminister "völlig" zugestimmt hatte, gab auch der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel Kurz "vollkommen recht". Mit "ausgebauten" Resettlement-Programmen und "restriktiven Rückführungen bei illegalen Einwanderungsversuchen" würden nicht mehr Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt.

Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) steht zum Vorschlag seines Außenministers: "Solange das Problem nicht gelöst ist und der Schutz der Außengrenzen nicht funktioniert, darf es keine Denkverbote geben."

Scharfe Kritik von roten Ländern

Heftig kritisierte Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) den Vorstoß des Außenministers. "Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Ob Ankündigungsminister Kurz weiß, wovon er hier eigentlich spricht, oder nicht", sagte sie dem STANDARD. Tausende Österreicher, die von den Nazis verfolgt wurden und nach Großbritannien flüchten mussten, seien damals "unter fürchterlichen Umständen in Internierungslagern wie auf der Isle of Man eingesperrt" worden. Wehsely: "Das 75 Jahre später zu einem Zukunftsmodell für Europa zu erklären ist eine Chuzpe."

Am Sonntag hatte Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) die Vorschläge von Kurz abgelehnt. "Verfolgte Menschen haben das Recht auf Schutz. Mit Internierungslagern auf Inseln vor der europäischen Grenze würden wir dieses Recht abschaffen." Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) "steht voll hinter den Aussagen der Stadträtin. Dem ist nichts hinzuzufügen."

Burgenlands Landeschef Hans Niessl (SPÖ) meinte im Ö1-Mittagsjournal, der Außenminister wolle nur "von der eigenen Untätigkeit" ablenken. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) sieht mehr aufgeworfene Fragen als Lösungen.

SPÖ-Jugend gegen Kurz

Die Vorsitzende der Jungen Generation in der SPÖ, Katharina Kucharowits, will keine "menschenrechtswidrigen Gefängnisse für Flüchtlinge". Die "menschen unwürdigen Verhältnisse in Aus tralien" seien ein Beispiel für gescheiterte Asylpolitik, so die Nationalratsabgeordnete.

Für Julia Herr, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, ist Kurz als Außenminister "völlig untragbar". Kurz solle sich "zusammenreißen", sagte Herr, und aufhören, "schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen" zu goutieren: "Das australische Modell ist an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten und stellt eine Aushöhlung des Asylrechts dar."

Als "nicht mit europäischem Recht vereinbar" bezeichnete auch EU-Parlamentarier Josef Weidenholzer (SPÖ) die von Kurz vorgeschlagenen "Internierungslager und das Zurückschicken von Flüchtlingsbooten nach austra lischem Vorbild". Weidenhol- zer nannte den Vorstoß auf STANDARD-Anfrage "einen der immer häufigeren Profilierungsversuche des Außenministers".

Kein Kommentar von Bundes-SPÖ

Aus dem Büro des Bundeskanzlers Christian Kern (SPÖ) wolle man die Vorschläge von Kurz weiterhin nicht kommentieren.

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) sagte, er kenne die Ideen bisher nur aus den Medien und nehme an, dass Kurz diese noch in der Regierung vorstellen werde.

NGOs betroffen und irritiert

So sagte Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer: "Aus humanitärer Sicht ist Australien bei der Asylpolitik alles andere als ein Vorbild für Europa. Der Schutz von Menschen auf der Flucht ist – angesichts der zahlreichen Opfer im Mittelmeer – wichtiger als je zuvor. Internierungslager retten keine Menschenleben."

Diakonie-Direktor Michael Chalupka sagte der "Kronen Zeitung": "Wir haben die Pflicht, diese Menschen zu versorgen. Australien hat die europäische Menschenrechtskonvention nicht unterschrieben. Europa hat eine andere Rechtslage. Ich kann diese Meldung nur als eine populistische Meldung einordnen, die wieder einmal von einem Außenminister nur als innenpolitische Ansage getätigt worden ist."

Christoph Pinter, der Leiter des österreichischen UNHCR-Büros, erklärte am Sonntagabend in der ORF-Sendung "Im Zentrum", dies sei "wirklich keine Zukunftslösung für den Flüchtlingsschutz in Europa". Auch den Vorschlag, Flüchtlinge sofort nach ihrer Identifizierung auf See zurückzuschieben, konnte Pinter "nicht wirklich gutheißen".

Kurz wolle "zuallererst abschotten und menschenunwürdige Zustände herbeiführen, die abschrecken und zermürben sollen", kritisierte auch die Hilfsorganisation SOS Mitmensch auf ihrer Facebook-Seite. Dies sei ein "undurchdachter, unmenschlicher und zutiefst zynischer Plan". Stattdessen forderte die Organisation die Möglichkeit, auch außerhalb der EU einen Antrag auf Asyl oder Immigration stellen zu können.

Der Vorschlag zeige, dass Kurz "das Asylrecht abschaffen möchte", sagte Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe: "Erst letzte Woche sind mehrere hunderte Menschen im Mittelmeer ertrunken, das Geschäft der Schlepper floriert. Grund dafür ist die Schließung der Balkan-Route, welche Außenminister Kurz initiiert hat."

Grüne orten Abschaffung des Asylrechts

Der grüne Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger schrieb auf Facebook: "Die australische Asyl-und Flüchtlingspolitik ('No Way') ist also ab sofort das Vorbild für Außen- und Integrationsminister Kurz. Damit ist es ihm zumindest kurzfristig gelungen, mit Identitären, FPÖ und anderen Rechtsextremen gleichzuziehen, für die das australische 'No Way' schon seit einiger Zeit vorbildlich ist."

Kritik an Kurz übte am Sonntag auch Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen. "Was Außenminister Kurz mit Einsperren von Schutzsuchenden auf Mittelmeerinseln vorschlägt, ist die Abschaffung des Rechts, dass verfolgte Menschen um Schutz ansuchen dürfen, ohne interniert zu werden", stellt Korun in einer Aussendung fest.

Neos wollen differenzierten Blick

Neos-EU-Abgeordnete Angelika Mlinar sagte, "sowohl ein europäischer Grenzschutz als auch ein möglicher Ausbau von Resettlement-Programmen sowie eine Offensive der Hilfe in Krisenregionen sind klare Arbeitsaufträge an die Verantwortlichen, allen voran Außenminister Sebastian Kurz."

"Differenziert sehen" müsse man die Vorschläge, sagte Neos-Menschenrechtssprecher Niki Scherak zum STANDARD. Die Formulierung, die Kurz gewählt habe, sei "nicht ideal", allerdings stimme er dem Außenminister in dem Punkt zu, dass es gemeinsame Erstaufnahmezentren an den Außengrenzen geben müsse. Diese könnten zwar auch auf Lesbos sein, jedoch müssten sich die Menschen frei bewegen können. Die Idee, Bootsflüchtlinge ohne Asylverfahren zurückzuschicken, hält Scherak für "rechtlich nicht möglich".

Vilimsky: "Gipfel der Unglaubwürdigkeit"

FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordneter Harald Vilimsky reihte sich selbst in die Riege der Kurz-Kritiker ein. Er bezeichnete die Vorschläge als "Gipfel der Unglaubwürdigkeit und Scheinheiligkeit der ÖVP".

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatte bereits vergangenes Jahr in einer Nationalratsrede gefordert, sich an Australien zu orientieren: "Man sollte sich daher das Beispiel der Australier ansehen, die solche Flüchtlingsschiffe abfangen, die Menschen in Sicherheit bringen, diese dann aber wieder zu ihrem Aufbruchsort zurückbringen", hatte Strache bei der Sondersitzung im Mai 2015 gesagt. (APA, krud, ook, tom 6.6.2016)