Eine Computex-Besucherin beim Spielen mit der HTC Vive.

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Ein Foto von der CES im Januar. Auf der Computex in Taiwan, fünf Monate später, führte die Oculus Rift nur ein Schattendasein.

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Virtual Reality und Oculus Rift – zwei Begriffe die jahrelang untrennbar miteinander verbunden waren. Denn es war das Unternehmen Oculus VR, das mit einem per Kickstarter finanzierten Projekt eine Renaissance der Technologie einleitete. Heute arbeitet man unter dem Dach von Facebook, dessen Chef Mark Zuckerberg dem Schritt in die Virtualität eine große Zukunft bei Unterhaltung und Kommunikation voraussagt.

Mit dem Start der ersten VR-Geräte im Consumer-Bereich hat sich das Blatt aber nun gewendet. Zeugnis dieser Entwicklung legt auch ein Rundgang über die Computex 2016 nahe. Praktisch jeder größere Hersteller von Gaming-Rechnern und Peripherie bot seinen Besuchern die Möglichkeit, in das neue Spielerlebnis einzutauchen.

Computex: Viel VR, wenig Oculus

MSI hatte seinen Rucksack-PC am Start, der die Bürde eines stationären PCs umgeht, indem dieser tragbar gemacht wird. Zotac lieferte ebenfalls einen tragbaren Rechner mit angehängter VR-Brille. Bei Acers Predator-Stand konnte in die virtuelle Welt eingetaucht werden. In Asus' "Republic of Gamers" ebenfalls. Nvidia bot gleich mehrere Räume für neugierige Gamer an. Und selbst manche Unternehmen, die nicht im Games-Geschäft operieren, lockten Publikum mit dem neuartigen Erlebnis.

Was sie alle gemeinsam haben: Praktisch keiner nutzte die Oculus Rift. Als Demogerät für Virtual Reality war ausnahmslos die HTC Vive im Einsatz. Fallweise wurde die Rift ausgestellt. Microsoft etwa hatte sie auf der Bühne liegen, neben der Vive und der 3Glasses D2, einer VR-Brille aus Hongkong. Als man vorführte, dass es möglich ist, über das "Windows Holographic"-System eine VR-Brille mit Hololens zusammenarbeiten lassen kann, war es erneut die Vive, die zum Zug kam.

Room-Scaled für ein schönes, "erstes Mal"

Das Produkt von HTC, in das der im Smartphone-Bereich strauchelnde Konzern sichtlich viel Forschung und Innovationsgeist gesteckt hat, war für tausende Messebesucher der Erstkontakt mit der virtuellen Realität. Wer schon das Vergnügen mit der Vive hatte, der weiß auch, dass es für die allermeisten wohl ein sehr erfreuliches "erstes Mal" gewesen sein muss. Bei Oculus darf man hoffen, dass dieses Erlebnis sich nicht all zu prägend auswirkt.

Der Grund für diese Dominanz ist einfach erklärt. Die Vive mag teurer sein, hat mit seinem Room-Scaled-Konzept, das die reale Umgebung erkennt und einbindet, schlicht das gewisse Extra. Die "Killer-App" der ersten Consumer-VR-Generation, wenn man so möchte. Dass die Vive von Anfang an mit Controllern verfügbar war, während Oculus' eigene "Touch"-Steuerung bislang nicht einmal von der US-Regulierungsbehörde FCC zertifiziert wurde, hat das Momentum zusätzlich in Richtung des Konkurrenten verschoben.

Die HTC Vive vermochte auf der Computex auch älteres Publikum zu begeistern.
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Vorsprung für HTC

Die Frage ist natürlich, wie langfristig diese Verschiebung ist. Gut denkbar, dass Oculus sein System mit einer Alternative zum Room-Scaled-System nachrüstet. Das wiederum bedeutet für die bisherigen Käufer allerdings Zusatzkosten und würde den Preisvorteil zur Rift erodieren. Ob der günstigere Preis überhaupt einen großen Vorteil für die Endkunden darstellt, insbesondere wenn HTC die hohe Präsenz der Vive aufrecht erhalten kann, wird sich spätestens im Weihnachtsgeschäft zeigen.

Ganz klar im Nachteil ist man bei Oculus allerdings, was das Geschäft mit Firmen angeht. Immer mehr Unternehmen haben den Entertainmentfaktor von VR entdeckt und wollen ihren Kunden ein solches Erlebnis bieten. In Wien etwa widmet sich das "Vrei" im siebten Bezirk ganz und gar der 360-Grad-Immersion. In diesem Umfeld dürfte die Raumerfassung die um 200 Euro höheren Anschaffungskosten (699 zu 899 Euro) mehr als wett machen.

Die HTC Vive bietet das bessere VR-Erlebnis. Der taiwanische Elektronikkonzern hat den amerikanischen Pionier in Runde 1 geschlagen.

Video: Wir testen die HTC Vive.
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Etappensieg mit Potenzial

Allerdings kommt auch hier das berühmte Stichwort zu tragen, dass eine gewonnene Schlacht noch kein gewonnener Krieg ist. Egal ob im Consumer-Bereich oder dem Verkauf im Geschäftsumfeld – man bewegt sich erst einmal in einer Nische, die noch ein paar Jahre benötigen wird, ehe VR für den Mainstream interessant und leistbar zugleich ist.

HTCs Vorsprung ist deswegen nicht obsolet. Im Gegenteil: Mit entsprechenden Anstrengungen kann das Unternehmen darauf weiter aufbauen und sich langfristig zum Führer der jungen Branche aufschwingen. Oculus und Facebook werden bis zur zweiten Generation entsprechend mehr Ressourcen investieren und kommendes Jahr – oder wann immer die "Rift 2" erscheinen sollte – nicht nur gleichziehen, sondern vorlegen müssen. (Georg Pichler aus Taipeh, 06.06.2016)