Formal betrachtet, ist noch gar nicht viel passiert: Die Europäische Kommission hat sich auf einen schriftlichen Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in Polen verständigt, Warschau hat nun zwei Wochen Zeit, auf diesen Bericht zu reagieren. Die ersten Antworten kamen jedoch prompt – und zeugen von Unverständnis. Er sei "überrascht und traurig", sagte Justizminister Zbigniew Ziobro. Brüssel vertrete eine "einseitige Meinung".

Die rechtsnationale Regierung Polens stößt mit ihren politischen Ideen zwar häufig auf Ablehnung bei ihren europäischen Partnern – und bei weiten Teilen der dort heimischen Zivilgesellschaft. Doch im Konflikt mit der Europäischen Kommission geht es um etwas völlig anderes: Hier wird eine Frage des Rechts verhandelt – jenes Rechts, das die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) sogar stolz im Namen führt.

Die Zusammensetzung und die Spielregeln des Verfassungsgerichts, um die es in dem Streit geht, sind in einem Rechtsstaat keine Kleinigkeit. Wenn Polens Regierung sich nun schon seit März weigert, ein Urteil des Verfassungsgerichts zu veröffentlichen, das die Reform desselben als verfassungswidrig bezeichnet, dann sind Bedenken durchaus angebracht. Die Europäische Kommission hat als Hüterin der Verträge sogar die Pflicht, solchen Bedenken Rechnung zu tragen. Und zwar im Interesse aller EU-Bürger – also auch im Interesse der Polen. (Gerald Schubert, 1.6.2016)