Wien – Es ist einer dieser Momente, in denen ein Neubeginn ein Lebensgefühl verspricht, das einen schwindeln lässt. Endlich hinaus in die Welt, mit ein paar Gleichgesinnten, dazu das Gefühl von Freiheit, mit fast schon zu vielen Möglichkeiten. Wenn Jake Bradford (Blake Jenner) am Anfang von Everybody Wants Some!! mit seinem Auto in den Campus hineincruist und aus dem Kassettendeck My Sharona schallt, dann ist der Kitzel gleich da. Jeder Blick, den er auf seine Studienkolleginnen wirft, macht deutlich, wie geschärft seine Sinne sind.

Ein Team, das nicht nur das Interesse an Baseball teilt: Mit Jake (Blake Jenner, rechts außen) tritt man in Richard Linklaters "Everybody Wants Some!!" wieder ins College ein.
Foto: Constantin

Gleich danach kommt in dieser Rückbesinnung auf die Collegezeit freilich die erste Enttäuschung. Das "frat house", in das der neue "Pitcher", ein Werfer des Baseballteams, im Jahr 1980 zu einigen seiner Mitspieler ziehen wird, ist eine ziemliche Bruchbude. Doch in diesem Alter sieht man über solche Kleinigkeiten hinweg. Genauso wie die gockelhafte Begrüßung des an den jungen Burt Reynolds erinnernden Teamkapitäns McReynolds (Tyler Hoechlin) sind sie einfach integraler Teil dieses neuen Lebensabschnitts. Auf die Wettbewerbsrituale unter den Burschen, die sich fast ausschließlich im sportlichen Bereich bewegen, wird der Film immer wieder zurückkommen – sei es Pingpong, sei es ein schmerzhaftes Schnippduell auf Fingerknöchel. Es ist ein fast schon instinktiver Impuls, die soziale Hierarchie spielerisch auszutesten und dabei etwas durchzurütteln.

Richard Linklater gilt nicht erst seit Boyhood als erste Adresse für einen popkulturell durchtränkten Blick in den Rückspiegel des Lebens. Schön langsam erweitert sich sein Werk zum Album einzelner Phasen des Aufwachsens. Everybody Wants Some!! (der Titel ist übrigens von einem Van-Halen-Song geborgt) hat mehr mit Dazed and Confused von 1993 gemeinsam, in dem der Texaner einen einzigen Tag in den 1970er-Jahren am Ende der Highschool Revue passieren lässt. Schon damals schien er vom gleichen Ehrgeiz angetrieben, profane Glücksmomente der Jugend zu rekonstruieren und jene Musik nochmals zu spielen, zu der man sich selbst entworfen hat.

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Auch diesmal beschränkt sich Linklater auf ein kurzes Intervall, auf drei lange Tage, bis auf der Southeast Texas State University die Unterrichtswoche beginnt. Von Handlung im engeren Sinn kann man nicht sprechen. Der smarte, etwas stille Jake wird zum Lotsen durch eine Aneinanderreihung aus Partys, Ausgeh- und Aufrissaktivitäten sowie Abläufen innerhalb der Truppe selbst.

Sex als ultimatives Ziel

Sein Weg lässt sich weniger als Initiation, denn als schritthafte Eingemeindung beschreiben, es geht ums Austarieren, bis es dann einmal passt. Manches nimmt man an, anderes wird verworfen, Identität ist bei Linklater ein Prozess der endlosen Verfeinerung, der offen bleibt. Wenn sich in den Nächten Musikkulturen und Milieus abwechseln, von Disco über Country bis zum Punk, bleiben Jake und seine "Bros" anpassungsfähig (und haben immer die richtigen T-Shirts und Hemden parat). Finn (Glen Powell), der Aufgeweckteste der Truppe, bringt es auf den Punkt: Alle Wege haben dasselbe Ziel – Sex.

Gerade in dieser Hinsicht bewegt sich Everybody Wants Some!! zurück in eine Ära der Unschuld, Aids ist noch unbekannt, Vergewaltigungen in Colleges sind kein öffentliches Thema. Stattdessen wälzen sich fast nackte Frauen zur Freude der männlichen Zuschauer ungeniert im Schlamm. Linklaters Nostalgie liegt in der Beschwörung einer Welt, die von den Repräsentationskämpfen von heute noch unbehelligt war. Dass dieses Paradies nicht allen offenstand, davon gibt es im Film keinen Begriff. Vielleicht wirkt er deshalb eine Spur zu besessen von der Vergangenheit. (Dominik Kamalzadeh, 1.6.2016)