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Es will ihr nicht in den Kopf, dass allein Russland von olympischen Konsequenzen bedroht ist. Issinbajewa beklagt Ungleichbehandlung.

Foto: ap/dunham

Lausanne/Moskau – Thomas Bach und sein Exekutivkomitee haben selten so viel Konfliktstoff behandeln müssen. Bei der am Mittwoch beginnenden dreitägigen Sitzung der Führung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne wird ein hochbrisantes Thema das andere ablösen. Doping in Russland und ein möglicher Olympia-Ausschluss der Sportmacht, Korruptionsverdacht bezüglich der Vergabe der Spiele 2020 in Tokio und die Sorgen um die Vorbereitung der Sommerspiele im August in Rio de Janeiro stehen auf der Agenda.

Für Unruhe sorgte die Ankündigung der neuen ARD-Dokumentation Geheimsache Doping – Showdown für Russland, die am 8. Juni ausgestrahlt wird. Sie soll zeigen, ob die Aussagen Russlands, endlich sauberen Sport zu garantieren, glaubhaft sind. Vor zwei Jahren hatte die erste ARD-Doku den Dopingskandal in Russlands Leichtathletik publikgemacht. Russlands Sportminister Witali Mutko reagierte sofort auf die neue ARD-Doku. Der Tenor werde wieder sein, "dass man Russen nicht trauen kann und so weiter", sagte er.

Kleine Aufzählung

Für Aufregung sorgte die zweifache Stabhochsprung-Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa, die ihr Land im Dopingskandal ungerecht behandelt sieht. "Auch in anderen Ländern wie Amerika, England, Deutschland, Kenia – meine Finger genügen zur Aufzählung nicht – wurden Sportler gesperrt. Da gibt es systematisches Doping", sagte sie dem russischen Fernsehsender RT. "Wir als Russland haben nie darum gebeten, dass deren Verbände wegen systematischen Dopings auch suspendiert würden."

Namen nannte Issinbajewa nicht. Die 33-Jährige ist empört, dass sie wegen der Suspendierung des russischen Leichtathletikverbands derzeit nicht an internationalen Wettbewerben teilnehmen dürfe. Sie überlegt eine Klage, um Schadenersatz einzufordern, und würde sich auch gegen einen etwaigen Olympiaausschluss wehren. "Ich bin nicht für die Handlungen anderer verantwortlich. Ich habe die Regeln nicht gebrochen. Ich gebe seit zwanzig Jahren weltweit Dopingproben ab, alle waren negativ. Niemand hat das Recht, mir den Start an Wettkämpfen zu verbieten."

Die Stabhochspringerin kann "nicht verstehen, warum jetzt alle nur in eine Richtung, nach Russland, schauen. Es existiert ein weltweites Dopingproblem, wir sind nicht das einzige Land damit", sagt sie. "Wenn die das Problem angehen wollen, sollen sie es machen. Aber sie sollen die Augen aufmachen und auch in andere Richtungen schauen."

Große Aufregung

Es ist nicht das erste Mal, dass Issinbajewa, die als Unterstützerin Wladimir Putins gilt, mit umstrittenen Äußerungen auf sich aufmerksam macht. Vor den Winterspielen in Sotschi hatte sie das Anti-Homosexuellen-Gesetz in Russland vehement verteidigt und war für ihre Äußerungen auch vom damaligen IOC-Präsidenten Jacques Rogge kritisiert worden. Issinbajewa, damals Bürgermeisterin des olympischen Dorfes in Sotschi, hatte auf Übersetzungsprobleme verwiesen.

So oder so steht IOC-Chef Bach unter Druck. Er will nicht den Eindruck erwecken, aus diplomatischem Kalkül harte Entscheidungen zu scheuen. "Es gibt null Toleranz, wenn sich die neuen Vorwürfe gegen das Sotschi-Labor bewahrheiten", betonte Bach. Eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ist mit der Untersuchung beauftragt und will bis 15. Juli ihre Ergebnisse präsentieren. Wada-Präsident Craig Reedie wird über erste Erkenntnisse informieren.

Was Dopingproben von Peking 2008 und London 2012 angeht, so soll jeweils das Gros der nachträglich entlarvten Athleten aus Russland stammen. Sollte nachgewiesen werden, dass Russland im Labor positive Tests eigener Athleten vertuscht hat, müsse "eine schwierige Entscheidung zwischen kollektiver Verantwortung" und "individueller Gerechtigkeit" getroffen werden, sagte Bach. Die Entscheidung des LA-Weltverbands (IAAF) am 17. Juni in Wien über einen Olympia-Bann der russischen Leichtathleten könnte wegweisend sein – auch für das IOC. Bach wird eine enge Verbundenheit mit Putin nachgesagt, er könnte in ein Dilemma geraten, ist sich dessen auch bewusst. "Was wir auch tun: Es wird Kritik geben." (sid, APA, fri, 31.5. 2016)