Das alte Regime trifft das neue: Der römische Modekaiser Valentino und seine Nachfolger Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli, umrahmt von zwei "Traviata"-Roben.

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Premiere in der Oper: Sofia Coppola.

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Das eigentliche Schauspiel findet ein paar Tage vor der "Traviata"-Premiere statt. Angesetzt ist eine Pressekonferenz in der Oper von Rom, bei der die Hauptakteure ein bisschen über dieses schöne Projekt erzählen sollen: Verdi-Oper trifft römische Modeschöpfer trifft Hollywood-Regisseurin.

Aber der italienische Designer Valentino Garavani hat in den letzten 84 Jahren nie irgendetwas nur so gemacht. Der Mann lässt bekanntlich sogar die Löcher im Rasen grün spritzen, wenn er auf seinem Anwesen bei Paris Gäste erwartet.

Valentino schwebt also mit großer Geste durch die Gasse zwischen den Stuhlreihen im Saal, ein bisschen wie früher, wenn er am Ende des Defilees über den Laufsteg schritt. Dann nimmt er staatsmännisch am Tisch hinter den Mikrofonen Platz, zupft sein Einstecktuch zurecht und verzieht minutenlang keine Miene. Als jemand fragt, wie teuer die Produktion dieser Oper denn jetzt eigentlich ist, senkt er einmal mit Nachdruck die Lider – maximale Missbilligung.

Geld spielt keine Rolle

Denn Geld spielt hier nun wirklich keine Rolle. Valentino und sein stetiger Weggefährte und Geschäftspartner Giancarlo Giammetti haben das Projekt mit ihrer Stiftung mitfinanziert. 1,8 Millionen Euro hat es gekostet, wer es genau wissen will. Aber die Oper war schon immer eine große Leidenschaft des Couturiers. Das berühmte Valentino-Red geht schließlich auf den Besuch einer Carmen-Aufführung des jungen Valentino in Barcelona zurück. Es war auch seine Idee, Sofia Coppola mit an Bord zu holen, die zwar noch bei keiner Oper Regie geführt hat, aber seit ihrem Film "Marie Antoinette" immerhin kostümspektakelerprobt ist.

Coppola sitzt übrigens heute auch hier, doch ihre Antworten auf der Pressekonferenz sind so bemerkenswert belanglos, dass man sie auf der Stelle wieder vergessen hat, Interviews gibt sie sowieso keine. Anstrengen muss sie sich auch nicht mehr: Fast alle 15 Vorstellungen sind bereits ausverkauft, die Produktion schon jetzt die erfolgreichste in der Geschichte des Teatro dell'Opera di Roma. Japan und Valencia wollen die "Fashion-Oper" gleich ungesehen einkaufen.

Altes und neues Regime vereint

Für die Modewelt liegt die noch größere Sensation allerdings woanders: zwei Stühle weiter rechts. Dort sitzen die aktuellen Valentino-Designer Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli, die ebenfalls beteiligt sind. Mr. Valentino entwirft, selbstredend, die vier Kostüme der Hauptfigur Violetta, sie die des restlichen Cast.

Eine Gemeinschaftsproduktion des alten und neuen Regimes – das gab es in der Mode so noch nie, und weil die Italiener sich nicht nur aufs Drama verstehen, sondern auch auf die großen Gefühle, schneidet der alte Couturier jetzt kurzerhand irgendwem das Wort ab und setzt zur großen Liebesszene an: Er wolle an dieser Stelle seinen "guardian angels", seinen "Schutzengeln", danken, "die mein Werk so großartig fortführen. Ich bin unglaublich stolz." Entzücktes Klatschen im Saal, Valentino selbst ist tief bewegt.

Solche Liebesbekundungen sind nicht üblich in der Branche. Wenn der Gründer eines Hauses nicht längst verschieden ist, stirbt er meistens tausend Tode beim Anblick dessen, was der Neue in seinem Namen fabriziert. Hubert de Givenchy soll schon mit John Galliano wenig glücklich gewesen sein, über die Kollektionen des aktuellen Givenchy-Designers Riccardo Tisci schweigt er vornehm. Calvin Klein wunderte sich kürzlich öffentlich, wie man jemanden wie das Social Model Kendall Jenner für "seine" Marke werben lassen könne. Legendär ist der Satz von Yves Saint Laurent in Bezug auf seinen Nachfolger Tom Ford: "Der arme Junge tut, was er kann." Das alte Erbfolgeproblem, keine einfache Sache.

Nachfolge aus eigenem Stall

Auch in Bezug auf Valentino hieß es stets, er sei unersetzlich. Es kam anders: Nach ihm wurde 2007 Alessandra Facchinetti installiert, aber nach nur zwei Saisonen wieder abserviert. Die Nachnachfolger gefielen dem Patriarchen schon besser. Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli hatten zehn Jahre als Accessoire-Designer unter "Mr. Valentino" gearbeitet. Eigener Stall, ihre Aufzucht gewissermaßen.

Tatsächlich haben die neuen Designer seine Marke nicht nur weitergeführt – sie haben das angestaubte Label zum Überflieger der letzten Jahre gemacht. 2015 wurde die magische Milliarden-Umsatz-Grenze geknackt. Seitdem hält sich das Gerücht, die Königsfamilie von Katar, der die Marke Valentino mittlerweile gehört, strebe nächstes Jahr den Börsengang an.

"Mr. Valentino" hatte das Duo damals von Fendi abgeworben, um die Accessoires zu entwerfen, die neben der Couture des Meisters stets ein Randgruppendasein fristeten. Mittlerweile machen sie 45 Prozent des Umsatzes aus. Die Fenster des neuen Flagshipstores neben der Spanischen Treppe sind nahezu ausnahmslos mit nietenbesetzten Taschen und Schuhen bestückt, den "Rockstuds", dem Dauerbrenner des Design-Duos. Ob ihm die persönlich auch gefallen? Valentino Garavani streicht eine imaginäre Falte in den grau-blau gemusterten Socken glatt. Er überhört die Frage einfach.

Chiuri, Anfang 50, und Piccioli, Ende 40, gehören zu den unprätentiösen Designern der Branche. Sie sind schlau und großzügig genug, dem Patriarchen seinen Raum zu lassen, obwohl er formell weder Besitzer noch Anteilseigner ist. Was man natürlich wissen will: Wie lief die Zusammenarbeit hinter den Kulissen? Ist der für seine Melodramatik bekannte Valentino altersmilde geworden? "Sie machen Witze", sagt Giammetti. "Wir streiten uns wie eh und je."

Unglaubliche Roben

Auch Chiuri und Piccioli winken ab, es habe sich absolut nichts geändert. "Schon früher haben wir stundenlang diskutiert", sagt Chiuri. Das Ergebnis sind auf beiden Seiten jedenfalls unglaubliche Roben. Für die Hauptdarstellerin entwarf Valentino unter anderem ein schwarzes Spitzenkleid mit drei Meter langer türkisfarbener Tüllschleppe. Und natürlich ein tief dekolletiertes Abendkleid in: Tiefrot.

Gern wäre man dabei gewesen, als Valentino entdeckte, dass die Sopranistin sich heimlich Stiefel besorgt hatte, statt die von ihm gewünschten Zwölf-Zentimeter-Stilettos zu tragen. Früher wurden auch im Hause Valentino nur High Heels geduldet, Maria Grazia Chiuri hingegen zieht selbst Turnschuhe an, sie und Piccioli entwerfen sogar welche.

Ob er das Entwerfen vermisst habe? "Ich bin ja nicht im Ruhestand, falls Sie das denken", stellt Valentino klar. Mal entwirft er das Hochzeitskleid von Schauspielerin Anne Hathaway, dann arbeitet er fürs Ballett, jetzt eben Opernkostüme. "Und ich könnte morgen ohne Probleme wieder eine Laufstegkollektion zeichnen", sagt er.

Allein – für wen? "Ich habe die Top-Top-Top-Frauen der Welt eingekleidet", sagt Valentino. "Jackie Onassis liebte meine Kleider so sehr, sie wollte manchmal eines in gleich drei verschiedenen Farben haben." Aber die Mode ist ein anderes Geschäft heute, und diese Frauen gibt es kaum noch. Was denkt er darüber, was er heute auf der Straße sieht? Er schaut zum Fenster. "Zwingen Sie mich nicht, darüber zu reden, ich kann dafür keine schönen Worte finden." Nicht nur die Oper, auch das echte Leben ist manchmal eine herzergreifende Tragödie. (Andrea Morales, RONDO, 27.6.2016)