Bild: 35MM
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Eins ganz vorweg: "35MM" (Windows, 12,99 Euro) ist nichts für Ungeduldige. Die wenigen Gameplay-Elemente, die im über weite Strecken herausforderungslosen First-Person-Walker auf Spielerinnen und Spieler warten, sind simpel bis uninspiriert, und auch angesichts der ein oder anderen technischen Schwäche ist Nachsicht angesagt. Dass das Spiel dennoch besondere Erwähnung verdient, ist seiner Atmosphäre zu verdanken, und seiner Ambition, in Sachen Erzählung erfrischend eigene Wege zu gehen.

Apokalyptische Einöde

Nach einer weite Teile der Menschheit dezimierenden Seuche gleicht das russische Hinterland einer apokalyptischen Einöde. Begleitet von einem wortkargen Reisegefährten durchwandern Spielerinnen und Spieler Wälder, verlassene Dörfer und Städte und natürlich dunkle Tunnel. Sinn und Zweck der Reise in dieses deprimierende Land bleiben anfangs verborgen und fügen sich erst im etwa zwei- bis dreistündigen Spielverlauf fragmentarisch zu einem trostlos melancholischen Bild.

Video: Trailer zu "35MM"
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Der Weg ist das Ziel

Neben einfachen Adventure-Elementen, wirklich winzigen Shooter-Einsprengseln und den langsamsten Quick-Time-Events der Welt ist aber der Weg das Ziel – und auf diesem Weg dürfen Fotos geschossen werden. Mit der von Anfang an verfügbaren titelgebenden 35MM-Kamera lässt sich die überaus atmosphärische Szenerie jederzeit virtuell verewigen. Genau dazu lädt auch das zugegeben fast provokant langsame Spaziertempo des NPC-Begleiters ein – wer zu schnell voransprintet, wird regelmäßig dazu gezwungen, teils minutenlang auf seine gemächliche Ankunft zu warten, bevor es weitergeht. Da ist es gleich besser, selbst langsam zu werden und die untergegangene Welt ausgiebig zu fotografieren.

Kleine Legende

Der russische Entwickler Sergej Noskov ist eine kleine Indie-Legende: Mit seinen kostenlosen experimentellen Spielen "Svet (The Light)" und "The Train" hat er vor allem in Russland, aber auch international für Aufsehen gesorgt. "35MM" ist sein allererstes kommerzielles Spiel, und die mangelnde Erfahrung sieht man: Die englische Untertitelung der stimmigen russischen Sprachausgabe holpert oft unfreiwillig komisch, das (noch) nicht abstellbare Kopfwackeln beim Gehen sorgt bei empfindlichen Naturen für Übelkeit und wer arges Pech hat, lädt einen Spielstand, in dem wichtige Gegenstände verschwunden sind. Mit anderen Worten: Trotz toller Optik und beeindruckender Atmosphäre ist "35MM" weit vom Hochglanz etwa eines "Everybody’s Gone To The Rapture" entfernt. Stattdessen ist es etwas anderes: das Äquivalent zu einem Arthouse-Indie-Film, mit kleinem Budget, aber großem, russisch-schwermütigen Herz.

Wer bei "Stalker" nicht nur an das Spiel, sondern auch an Andrei Tarkowski denkt und – vermutlich damit einhergehend – die nötige Ruhe hat, sich dem langsamen Tempo von "35MM" zu unterwerfen, erlebt allerdings ein ziemlich einzigartiges Stück interaktive Erzählung in einer stimmungsvollen Postapokalypse. (Rainer Sigl, 4.6.2016)

"35MM" ist für Windows-PC erschienen. UVP: 12,99 Euro.