Studierende sind durchschnittlich 26 Jahre alt.

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Die soziale Situation österreichischer Studenten.

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Wien – Sie beginnen ihr Studium im Schnitt mit 28, haben meistens einen Job, oft schon Kinder. Mehr als ein Viertel der österreichischen Studenten starten ihre akademische Laufbahn mittlerweile "verzögert", wie es im Bericht zur sozialen Lage der Studierenden heißt, die das Institut für Höhere Studien (IHS) für das Wissenschaftsministerium erstellte. Und: Diese Quereinsteiger kommen häufiger aus sozial niedrigeren Schichten.

Das macht diese Gruppe besonders beliebt bei Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Denn sie verschaffen Österreich im internationalen Vergleich eine relativ gute soziale Durchmischung: 72 Prozent der Studenten haben Eltern ohne akademischen Abschluss.

"Ein Elitensystem ist – salopp gesprochen – aus diesem Ergebnis nicht ableitbar", sagt Mitterlehner bei der Präsentation des Berichts am Montag und verweist auch darauf, dass die vor allem von der Hochschülerschaft befürchtete verschärfte soziale Selektion durch die eingeführten Zugangsbeschränkungen nicht eingetreten sei. Insgesamt sind soziale Lage und Durchmischung der Studierenden seit der letzten Erhebung 2011 einigermaßen konstant geblieben.

Spätberufene besonders motiviert

Auch ökonomisch lohnen sich die Späteinsteiger, also jene, die frühestens zwei Jahre nach der Matura oder überhaupt erst im zweiten Bildungsweg ein Studium beginnen. Zwar beziehen fast 40 Prozent von ihnen ein Selbsterhalterstipendium, das rentiert sich aber auf lange Sicht durch höhere Einkünfte. Deshalb will Mitterlehner künftig 25 Millionen Euro mehr für verschiedene Förderungen für Studierende aufwenden – derzeit gibt sein Ministerium etwa 190 Millionen für Beihilfen, Zuschüsse und Stipendien aus.

Was spätberufene Studenten außerdem attraktiv für den Staat macht: Wer Ende 20 ist und berufsbegleitend studiert, weiß in (Weiter-)Bildungsfragen meist genau, was er will und wie er es erreicht. Viele brechen das Studium zwar im ersten Jahr ab – wer dann übrig bleibt, ist aber besonders motiviert. Und das, obwohl ältere Studierende neben dem Studium häufiger und mehr arbeiten.

Probleme mit Zeit und Geld

Von allen Studierenden gingen im Sommersemester 2015 61 Prozent neben dem Studium einer Erwerbsarbeit nach. Wer arbeitet, tut das im Schnitt fast 20 Stunden pro Woche – die berufstätigen Späteinsteiger arbeiten durchschnittlich 26 Wochenstunden.

Dabei klagen mehr als die Hälfte der Befragten über Schwierigkeiten, Job und Studium unter einen Hut zu bringen. Mitterlehner sieht hier die Hochschulen am Zug, bessere Angebote für Berufstätige zur Verfügung zu stellen.

Insgesamt steigt mit dem Alter auch der Anteil des eigenen Gehalts am monatlichen Budget. Das beträgt durchschnittlich 1130 Euro pro Monat, Naturalleistungen (etwa von den Eltern bezahlte Mieten) mit eingerechnet. Mehr als die Hälfte der Studenten müssen aber mit weniger als 1000 Euro, acht Prozent gar mit weniger als 500 Euro auskommen.

Verzögertes Studium, verschärfte Bedingungen

Ein gutes Viertel der 47.000 befragten Studierenden gab an, "stark von finanziellen Schwierigkeiten betroffen" zu sein – die meisten aus niedrigeren sozialen Schichten. Vor allem die gestiegenen Wohnkosten machen vielen Studenten zu schaffen.

Für die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) sind die Ergebnisse des Berichts "immer noch erschreckend. Es hat sich nicht wirklich etwas verbessert", sagt ÖH-Vorsitzender Philip Flacke. Wer arbeiten muss, um sich das Studium zu finanzieren, muss zusätzliche Semester anhängen, argumentiert er – so würden weitere Kosten wie Studiengebühren die Lage der Studierenden noch verschärfen.

Einigkeit bei besserem Angebot für Berufstätige

Dass sich die soziale Durchmischung an den Hochschulen durch die eingeführten Zugangsbeschränkungen nicht verschlechtert hat, erklärt Flacke mit dem gestiegenen Anteil an FH-Studenten – die Fachhochschulen würden aufgrund ihrer oft ländlichen Lage eher Studierende aus niedrigeren Schichten ansprechen.

Einig sind sich ÖH und Minister darin, dass Unis und FHs bessere Angebote für Berufstätige machen müssten. Flacke regt etwa Alternativen zur klassischen Anwesenheit an. Denn "wer einen Job hat, kann nicht um 8.30 Uhr im Hörsaal sitzen".

Die ÖH verlangt außerdem eine Erhöhung der Beihilfen. Diese seien "dringend an die Inflation anzupassen", forderte die stellvertretende ÖH-Chefin Lucia Grabetz (Verband Sozialistischer StudentInnen/VSStÖ) gegenüber der APA. Zuletzt sei dies 1999 vollständig passiert.

25 Millionen reichen nicht

1999 habe die Höchstbeihilfe monatlich 606 Euro betragen, so Grabetz. Die letzte Erhöhung auf 679 Euro habe es 2007 gegeben, wobei damals die Teuerung nicht voll abgegolten wurde. Eine volle Berücksichtigung der Inflation würde heute eine Höchstbeihilfe von 812 Euro bedeuten. Darüber hinaus habe die kalte Progression dafür gesorgt, dass die Zahl der Beihilfenbezieher stark gesunken sei – aufgrund der gestiegenen Elterneinkommen, die für die Gewährung bzw. Bemessung der Beihilfe herangezogen werden.

Die von Mitterlehner angestrebten zusätzlichen 25 Millionen Euro hält Grabetz für nicht ausreichend: "Wir freuen uns natürlich, dass überhaupt etwas kommt, aber das reicht bei weitem nicht aus, die Beihilfen nur ansatzweise anzupassen."

Grüne hinterfragen System grundsätzlich

Ins gleiche Horn stieß die Arbeiterkammer (AK), die eine "Anhebung der Stipendien und des Einkommensberechnungsschemas entsprechend der Lohn- und Preisentwicklung" einforderte. Im Sommersemester 2009 hätten noch 18 Prozent der Studierenden ein normales Stipendium erhalten, 2011 knapp 15 Prozent und im Sommersemester 2015 nur mehr rund zwölf Prozent.

"Ganz grundsätzlich ist ein System, in dem nur mehr zwölf Prozent der Studierenden konventionelle Studienbeihilfe beziehen, zu hinterfragen", betonte auch die Grüne Wissenschaftssprecherin Sigrid Maurer. Das Problem sei nicht nur die zu niedrige Höhe der Stipendien, sondern auch, dass nur mehr sehr wenige Studierende überhaupt eines bekommen.

"Eine Erhöhung der Mittel reicht nicht, es braucht strukturelle Änderungen", fordert Maurer in einer Aussendung. "Denn auch die steigenden Zahlen von Studierenden, die nicht direkt nach der Matura, sondern erst später im Leben ein Studium beginnen zeigen, dass das Stipendienwesen grundlegend umstrukturiert werden muss." (sefe, APA, 30.5.2016)