Unendlichen Ideenweiten in Linz mit "Terra Nova".

Foto: Kaufmann

Linz – Was gibt es Neues? Im Landestheater Linz herrscht immer ein buntes Treiben. Intendant Rainer Mennicken besitzt Courage und Kreativität, sein abwechslungsreiches Programm mit Novitäten zu schmücken. Hat man bei der Wiener Staatsoper den Eindruck, eine neue Oper zu zeigen wäre ein schmerzhafterer Akt als die Geburt eines Elefantenbabys durch eine Maus, so sind Uraufführungen in Linz beinahe selbstverständlich.

Fadinger, Ernst Ludwig Leitners Opernreise in die Geschichte Oberösterreichs, wurde vor zwei Jahren etwa zur interessanten, rundum gelungenen Produktion. Als letzte Novität von Mennickens Amtszeit setzte es am Fronleichnamsabend nichts weniger als "ein Weltspektakel": die von Moritz Eggert komponierte und von Franzobel und dem Intendanten selbst getextete Oper Terra Nova oder Das weiße Leben.

Helle Materie, idyllischer Planet

Man sieht "eine abgelebte Welt in absehbarer Zukunft". In Sibirien wird nach einem Meteoriteneinschlag helle Materie entdeckt, die den Weg zu einem idyllischen Planeten weist. Der wachstumsfixierte Regierungschef Ruler (das Libretto ist wie gesagt von Franzobel) schickt eine Dreimannmission dorthin in die elfte Galaxie, auch um dem schon etwas renitenten Volk Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben.

Doch plötzlich werden die Erdbewohner von seltsamen weißen Flecken befallen, und mit dem kollektiven Erbleichen geht auch ein Erlahmen aller Antriebskraft einher. Das stört eigentlich keinen der Menschen mehr – aber sind es denn überhaupt noch welche?

Ja, da passiert viel Seltsames in dieser Weltraumoper. Franzobel mischt in seinem Libretto heiter Trash mit Tragödie und Klamauk mit Kapitalismuskritik: Wohl bekomm's! Fast noch umtriebiger zeigt sich das Geschehen im Orchestergraben: Eggerts Musik ist kleinteilig und eklektizistisch, allein in den ersten zehn Minuten setzt es einen Chor in G-Dur mit fröhlichem Terzgesang, Walzerseligkeit, Musicalkitsch und Filmmusikpathos. Singt Marilyn, Rulers wasserstoffblonde Geliebte, säuselt das Saxofon; wenn es auf den Mond zu Chang'e geht, der Exfrau Rulers, wird's kurz überirdisch modern.

Etwas zu viel der Reize

Eggerts kunterbunter Kuddelmuddel macht den Eindruck, als ob er der Wirkungskraft seiner Musik und/oder den Aufmerksamkeitsspannen des Publikums nicht vertraut und er deshalb alle halbe Minute einen Stilwechsel ansetzt. Dasselbe gilt für die Regie von Carlus Padrissa: Da ist viel Aktion und noch mehr Action, Lichtzauber und Projektion in der Arbeit des künstlerischen Direktors von La Fura dels Baus. Aber irgendwann wähnt man sich nur noch auf einer Kirmes und ermattet in diesem Overkill der Reize.

Hut ab aber vor der Technikmannschaft der Produktion, denn die hat wirklich alle Hände voll zu tun. Toll auch die unendlichen Weiten des offenen Bühnenraums (von Roland Olbeter), der an einen Laderaum oder ein Holodeck eines Raumschiffs erinnert. Und der Raketenstart ist szenisch wirklich supergut gelungen.

Moritz Eggert

Auch Dennis Russel Davis und das Bruckner Orchester Linz sind zu loben, dass sie diese überquellende Partitur in den Griff bekommen haben, sowie einige der Sänger: Jacques le Roux als höhensicherer Ruler, Mari Moriya als Koloraturqueen Chang'e, Martin Achrainer als kraftvoll singender Agent Kolker und Anais Lueken als Musicalschnucki Marilyn. Etwas blass bleibt Katerina Hebelkova als Chefastronomin Pandura.

Nachdem man in den zweieinhalb Stunden der Aufführung so viel gesehen hat, wird man im Schlussbild sogar noch geblendet. "Arbeit ist nichts, Leben ist alles", weiß Franzobels Libretto. Die Begeisterung beim Schlussapplaus für die drei Verfasser des Werks geriet für eine Uraufführung aber dennoch relativ leblos. (Stefan Ender, 29.5.2016)