Die Grazer Stadträtin Lisa Rücker wohnt im zehnten Stock eines Siebzigerjahrehauses. Sie schätzt den Ausblick, den alten Charme der rosa Küchenmöbel sowie die regelmäßigen Gäste auf ihrer Loggia.

"2008 war ich auf Wohnungssuche, und das war die allererste Wohnung, die ich mir angeschaut habe. Es gab zwei ausschlaggebende Gründe, warum ich mich in dieses Objekt ad hoc verliebt habe: Ausblick und rosa Küche. Eine Originalküche aus den Siebzigern, in so einem perfekten Zustand, und noch dazu in diesem hinreißenden Konditorei-Aida-Rosa – das findet man so schnell kein zweites Mal! Sobald man die Kästchen aufmacht, merkt man, dass die Fronten ursprünglich knallorange waren. Im Laufe der Zeit ist die Resopal-Oberfläche verblichen.

"Ich bin kein sonderlich materieller Typ, aber so ganz kann ich mich den Reizen der Materie auch nicht entziehen." Die Grazer Stadträtin Lisa Rücker in ihrer rosa Küche.
Foto: J. J. Kucek

Ja, und dann der Ausblick! Mein Lieblingsplatz ist der Hocker am Fenster. Je nach Wetter, Tageszeit und Jahreszeit verkrieche ich mich entweder in meine Tasse Tee mit Blick in die Küche, oder aber ich drehe den Hocker zum Fenster, lege die Beine aufs Fensterbrett hoch und schaue raus in den Himmel. Vor dem Haus liegt der heiß umkämpfte Volksgarten, der in Graz keinen sonderlich guten Ruf hat. Doch ich finde diesen Park – allen Grazer Unkenrufen zum Trotz – sehr schön.

Die Wohnung liegt im Bezirk Lend im zehnten Stock eines Siebzigerjahrehauses. Ich habe den Ort bewusst gewählt, weil ich diese Multikulti-Atmosphäre um mich herum brauche. Im Süden blicke ich ins Grazer Becken, bis an die Kante Sloweniens und sogar bis zu den Skigebieten rund um Maribor. Es gibt einen Balkon, und der eignet sich perfekt, um mit meiner Tochter den Tag ausklingen zu lassen. Am liebsten bei einer allerletzten Zigarette, aber das schreib' ma nicht, oder? Im Hochsommer schlafe ich manchmal auf der Loggia und lasse mich von den Fledermäusen in den Schlaf wiegen. Ein Traum!

Die Bauweise in den Siebzigern war nicht die beste. Als ich eingezogen bin, gab es Feuchtigkeitsflecken, Schimmel und undichte Fenster. Da steckt schon einiges an Arbeit und Geld drin. Aber es hat sich ausgezahlt. Insgesamt hat die Wohnung 118 Quadratmeter, aufgeteilt auf eine meiner Töchter und mich, auf meine Partnerin, die in Wien wohnt und mit der ich eine ÖBB-Semmering-Beziehung führe, auf meinen Neffen, der hier zeitweise wohnt, und auf meine zwei Katzen, die sich hier recht dominant breitmachen.

Ich bin kein sonderlich materieller Typ, aber so ganz kann ich mich den Reizen der Materie auch nicht entziehen. Mein Lieblingsstück ist das Lotterbett im Wohnzimmer. Das wird seit – ich weiß nicht wie vielen – Generationen in der Familie weitergegeben und dient zurzeit als Wohnzimmercouch. Das ist ein altes Ding mit gedrittelten Rosshaarmatratzen, knarrendem Holzgestell und einem Dutzend Pölstern darauf.

Ansonsten habe ich ein paar Vintage-Möbel aus den Fünfzigern und Sechzigern: Stühle, Lampen, diverses Krimskrams, das da und dort herumsteht. Die Möbel von damals sind schön, robust und irre bequem. Das einzige Möbel, das sich angesichts meiner Rabaukenkatzen als nicht sonderlich langlebig herausgestellt hat, ist die Sitzbank. Die Stoffseitenteile sind in einem erbärmlichen Zustand. Letzten Sommer habe ich einen Nähanfall gekriegt, eine richtige Denim-Attacke, und habe eines Nachts sämtliche alte Jeans der Familie zu einem Schonbezug zusammengenäht.

Ich bin viel öffentlich unterwegs und werde auf dem Radl und in der Straßenbahn von Leuten ständig angesprochen. Ich mag das. Umso wichtiger ist dann die Wohnungstür, die man am Ende eines Tages hinter sich zumachen kann. Dieser Privatraum, dieser Rückzug ist essenziell für mich. Ein Schlusswort: Ich träume davon, dass diese wunderbare Stadt eines Tages ihre Potenziale erkennt und ausschöpft. Das wäre wirklich schön." (30.5.2016)