Am Sonntag gehört das Ufer dann den Läufern. Ja eh: Auch den Radfahrern und den Spaziergängern – aber dort, wo noch am Samstag die Autos an der Seine zweispurig Stau spielten, ist am Sonntag vor allem eines: Läuferland.

Und obwohl das Volumen des Wiener Stadtverkehrs im Vergleich zu dem in der französischen Hauptstadt ohnehin eher nach Kindergeburtstag klingt und aussieht, passt das ins Bild. Denn Paris zeigt, dass nicht nur manches, sondern vieles geht. Wenn man will. Und die Eier hat, unter "Verkehrspolitik" mehr zu verstehen, als die Verwaltung von vom Autoverkehr nicht beanspruchter Flächen.

Foto: Thomas Rottenberg

Fahrspuren in Rad- und Flanierstreifen zu verwandeln gehört da ebenso dazu, wie das Freiräumen ganzer Straßenzüge von abgestelltem Blech. Oder dem rigorosen Parkraumschaffen für die Lade- und Abhol-Stationen des Auto-Pendants des Gratis-Leihradsystems. (Wobei Wien da zwar das Vorbild für Paris war – man dort aber den entscheidenden Schritt weiter ging, auch Fahr-Platz zu schaffen.) Die Sperre eines Seine-Ufers für Autos seit einem oder zwei Jahren. Oder nun eben auch die Sperre des anderen Ufers. Am Sonntag. Erstmal.

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Aber: Halt! Das hier ist eine Lauf- und keine Verkehrskolumne. Und Laufen in Paris, das kann was. Definitiv. Davon habe ich mich vergangenes Wochenende wieder einmal selbst überzeugt. Bei einem Kurzurlaub in dieser Lieblingsstadt. Doch gerade weil ich das letzte Mal vor gut zehn oder sogar 15 Jahren hier war und die Benutzbarkeit der Stadt damals ganz anders aussah, fiel mir der Unterschied diesmal umso deutlicher auf.

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Sicher: Stadtlaufen war damals längst nicht das Ding, das es heute ist. Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen der Rad- und Fußgängerfreundlichkeit einer Stadt und ihrer "Belaufbarkeit" – und bei meinen letzten Besuchen hätte mich höchstens ein strenger Trainingsplan, aber sich nicht der Spaß an der Freude hier in die Laufschuhe schlüpfen lassen.

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Wobei ich eines zugeben muss: Ich bin auch diesmal nicht gelaufen. Und das war wirklich hart: Ich habe – immer noch – striktes Laufverbot. Und – immer noch – keine Ahnung, wann ich wieder von der Zuschauer- oder Betreuerbank zurück aufs Spielfeld kommen dürfen werde. Aber: Seit dem Linz-(Halb)Marathon hat es mich nicht sehr gereizt: Ich wollte genau gar nicht. Weil schon ein einziger flotter Schritt stets ausreichte, mir zu zeigen, dass ich noch lange nicht so weit sein würde. Nun, hier – in Paris – war das anders. Ganz anders. Und vermutlich war ich dem einen Läufer oder der anderen Läuferin, dem oder der ich da mit verzweifelt-flehentlicher Miene nachblickte, sogar ein bisserl unheimlich.

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Aber Paris ist halt auch mehr: Die Stadt ist Teil eines Versprechens. Schließlich gilt der Marathon an der Seine als einer der größten und schönsten und am besten organisierten der Welt. Mit 40.200 Finishern ist er nur ein paar tausend Nasen kleiner als der von New York. Und auch wenn Paris nicht zu den "Majors", also den "Big Six", gehört, muss der Lauf an der Seine den Vergleich mit London, Berlin, Chicago, Tokio, Boston und New York nicht scheuen. Denn sowohl Streckenführung als auch Stimmung sollen groß- und größtartig sein. Obwohl: Auch nicht einfach. Vor allem, weil es am Schluss bergauf geht.

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Hier will ich nicht nur laufen – ich muss: Ich habe es versprochen. Als Begleiter, Motivator, Wasserträger, Freund und Mitläufer. "Wenn du hier deinen ersten 42er laufen willst, laufe ich mit Dir. Und bring dich da durch", sagte ich irgendwann einmal flapsig so dahin. Und jetzt komme ich aus der Nummer nimmer raus. Will ich auch gar nicht: Es geht nicht um schnell, sondern um schön.

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Auf Paris kamen wir aber nicht, weil uns hier überall die Läuferinnen und Läufer um die Ohren flogen. Auch nicht über Berichte in Magazinen oder Blogs – sondern über ein Buch. Und obwohl es – auch – ein Laufbuch ist, steht es bei mir in jenem Teil des Bücherregales, in dem die Kochbücher lagern. Respektive: Dort wird es landen, wenn es die Reise vom Couchtisch über diverse Ausborge-Stationen bei Freunden je wieder zu mir zurück bringt. Denn "Marathon zum Genießen" ist ein Mix aus einem ernährungswissenschaftlichen Folianten für Ausdauersportler, Laufreiseführer und – wie schon gesagt – einem Kochbuch.

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Welche dieser drei Säulen das von Martin Kreutzer, Simon Weisdorf und Jakob Valling herausgebrachte und im einschlägig bekannten Spomedis Verlag erschienene Buch am direktesten bedient, habe ich aber noch nicht ganz heraus: Dass Ernährungstheorie irgendwann bei jedem und jeder Ausdauersportlerin ein Thema wird, ist schließlich nicht weiter überraschend. Und dass in diesem weiten Feld jeder die für ihn (oder sie) zutreffende Wahrheit selbst finden muss, ist auch nicht wirklich neu. Alleine deshalb ist es spannend zu lesen, was Kreutzer – ein dänischer Ernährungsexperte und Coach da zu sagen hat …

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… und dann zu dem zu kommen, was der Fotograf Jakob Valling und der Lauf-, Ernährungs- und Health-Autor Simon Weisdorf darauf folgen lassen: Kurz, knapp und prägnant, aber umso mehr Gusto machend, werden da 42 superschöne Marathons präsentiert. Von den "Majors" über Klassiker (Paris, Barcelona und Stockholm etwa) hin zu legendären und schweren Läufen (Chinesische Mauer, Kilimanjaro und Machu Picchu) bis hin zu absoluten Freak-Events – wie dem Polar-Circle-Marathon, den 2015 gerade einmal 141 Teilnehmerinnen und Teilnehmer absolvierten ...

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Und nach jedem Lauf kommt dann ein Rezept, das – mehr oder weniger – zum davor vorgestellten Lauf passt. Ich bin ein miserabler Koch, aber ein leidenschaftlicher Esser. Weil in meinem Umfeld aber immer mehr (und besser) gekocht wird, saßen wir irgendwann zusammen. Zeigten auf Wunsch-Gerichte – und Wunsch-Läufe.

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Und kamen dann – als organisatorisch und sportlich möglichen und traumhaft schönen Rookie-Run – eben auf Paris.

Wann auch immer: Ich habe es nicht eilig. Weder am Weg zum Bewerb, noch dann auf der Strecke selbst. (Thomas Rottenberg, 25.5.2016)

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