Béatrice Uria-Monzon (li.) und Anja Harteros in "Don Carlo".


Foto: Pöhn

Wien – Was für ein Abend! Man muss wohl den Begriff "Tollhaus" aus der Rumpelkammer für verstaubte Ekstase-Umschreibungen hervorkramen, um zu beschreiben, was da in der Wiener Staatsoper am Sonntagabend los war nach dem Ende von Verdis Don Carlo. René Pape, Ludovic Tézier, Béatrice Uria-Monzon und natürlich Marco Armiliato – alle wurden sie wie verrückt beklatscht und beschrien. Am allerheftigsten und am längsten erwischte es aber Anja Harteros: Über die Sopranistin ging eine wahre Sturmbrandung der Begeisterung nieder, minutenlang.

Schon im letzten Teil der vieraktigen Mailänder Fassung hatte nach ihrer einzigartigen Interpretation von Tu che le vanità Ausnahmezustand geherrscht: Nach einer gesanglich überwältigenden Interpretation der Elisabetta hatte die 43-Jährige hier noch einmal alle Schätze ihres vokalen Reichtums ausgebreitet und weiteste Ausdruckswelten mit dem Glanz und der Glut ihres unverwechselbaren und noch fast verschleißfreien Soprans beleuchtet. Diese runden, schwebenden Pianissimi, dieser Furor – was für eine Künstlerin, was für eine Tragödin! Brava! Nach ihren blassen Auftritten als Marschallin und Arabella ist Harteros nun endlich wieder mit voller Kraft am Werk.

Ähnlich differenziert wie die deutsche Diva musizierte Marco Armiliato. Das Staatsopernorchester präsentierte sich unter der idealen Leitung des Italieners in Bestform: Der dritte Akt etwa, eröffnet von einem souveränen, bewegenden Cellosolo Robert Nagys, war großes Kino. René Papes Filippo war von eindrucksvoller soldatischer Strenge, wenn er auch seine vokale Potenz mitunter mit zu viel Druck unterstrich; mehr Karikatur als Autorität: der Großinquisitor von Alexandru Moisiuc. Béatrice Uria-Monzon gab die Eboli mit satt-glänzendem Mezzo samt üppigem Vibrato.

Kraftvoll, mit väterlich-kernigem Timbre und endlosem Atem der Posa von Ludovic Tézier; Ramón Vargas bot als Don Carlo eine eher durchwachsene Leistung. Zwischen Vargas und Tézier herrschte so viel freundschaftliche Innigkeit wie seinerzeit zwischen Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner. Ein Bravo auch für die karge und doch ungemein kluge, schöne und stimmungsstarke Inszenierung von Daniele Abbado. (Stefan Ender, 23.5.2016)