Wien – Die in Österreich diskutierte gezielte Förderung von Problemschulen ist in Hamburg seit 20 Jahren Praxis. Ob durch eine Mittelzuteilung nach Sozialindex alle Schüler die gleichen Bildungschancen erhalten, lässt sich jedoch nicht eindeutig sagen. Die Hamburger Bildungsforscherin Martina Diedrich zeigte am Montag bei einer Enquete der Arbeiterkammer Chancen und Grenzen des Modells auf.

Eingeführt wurde der Sozialindex in Hamburg 1996 mit dem Plan, für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. "Anstelle des Gießkannenprinzips wollte man mehr Geld dorthin geben, wo die Not am größten ist", sagt die Abteilungsleiterin des Hamburger Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) im APA-Gespräch.

Ob das Ziel auch erreicht wurde, kann man laut Diedrich mangels entsprechender Daten allerdings nicht klar beantworten. Ein "wirklicher Erfolg" sei, dass laut Studien Schüler an sozial stark belasteten Standorten gleich viel dazulernen wie Kinder und Jugendliche an weniger belasteten Schulen. "Mit unseren Daten lässt sich aber keine Kompensation zeigen, also dass die Schüler womöglich mehr lernen als an weniger belasteten Schulen. Wir haben auch keine Indizien, dass der Zusammenhang zwischen Lernstand und sozialer Belastung nach und nach schwächer wird." Der Lernstand bleibe damit zwar an den wenig belasteten Schulen "ungleich höher", aber die Schere gehe wenigstens nicht noch weiter auf.

Hamburger Modell

Basis für das Hamburger Modell waren Leistungsstudien, durch die die soziale Zusammensetzung der Standorte beschrieben werden konnte. Konkret besteht der Sozialindex aus sechs Stufen: Die niedrigste wird bei (öffentlichen) Schulen mit sehr schwierigen sozialen Rahmenbedingungen vergeben, Stufe sechs bekommen Standorte mit verhältnismäßig sehr bildungsnahen, privilegierten Schülern. "An diese Stufen ist die Vergabe der Ressourcen gekoppelt", schildert Diedrich. In der Praxis bedeutet das vor allem, dass an Schulen auf den Sozialindex-Stufen eins und zwei weniger Kinder in den Klassen sitzen (an den Grundschulen etwa 19 statt 23 Schüler) und dass ihnen mehr Lehrer für Sprachförderung zugewiesen werden. Auch Mittel für Ganztagsschulen werden zum Teil über den Index vergeben.

Dabei geht es nicht, wie in Österreich zuletzt wegen der Zunahme von Flüchtlingen in den Schulen angekündigt, um die Zuweisung zusätzlicher Mittel. "Der Index ist Basis für die Grundversorgung", sprich die Zuweisung von Lehrerstellen. In der Praxis führt das dazu, dass es für Schulen mit besonders vielen bildungsnahen Kindern und Jugendlichen weniger oder (beim Index fünf und sechs) gar keine Mittel für Sprachförderung gibt bzw. die KIassen etwas größer sind. Allerdings ist laut Diedrich auch davon auszugehen, dass das an jenen Standorten keine negativen Folgen hat, weil Kinder dort ohnehin wenig Sprachförderung bräuchten und auch in etwas größeren Klassen zurande kämen. "Wenn es Standorte gibt, an denen bis zu 40 Prozent der Schüler sonderpädagogischen Förderbedarf sitzen, dann muss diese andere Ausgangsvoraussetzung berücksichtigt werden."

Genau überlegen

Österreich würde Diedrich empfehlen, vor der Einführung einer indexbasierten Schulfinanzierung genau zu überlegen, was damit erreicht werden soll und wie man den Erfolg der Maßnahmen auch messen kann. Die Verantwortlichen bräuchten außerdem einen langen Atem bei der Umsetzung eines solchen Modells: Es gehe nicht nur darum, das Modell einmal gegen etwaige politische Widerstände durchzusetzen. Man müsse auch danach stets auf Veränderungen etwa in der sozialen Zusammensetzung an den Schulen reagieren.

Die Arbeiterkammer forderte in einer Aussendung eine "gerechte Schulfinanzierung nach einem Chancen-Index". "Derzeit spielt bei der Schulfinanzierung die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler keine Rolle. Die Mittel werden pauschal zugewiesen, unabhängig vom Bildungshintergrund der Eltern, der die Bildungschancen der Kinder prägt. Das muss anders werden", sagt die Leiterin der Wiener AK-Abteilung für Bildungspolitik, Gabriele Schmid. Auch die Armutskonferenz schlägt vor, Schulen in sozial benachteiligten Bezirken besonders gut auszustatten, damit sie keine Schüler zurücklassen und für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben. (APA, 23.5.2016)