Rostock/Wien – Die sogenannte Flüchtlingskrise gilt als eine der größten Herausforderungen, die Europa und auch Österreich aktuell zu bewältigen haben. Und einige Zahlen sind jedem Medienkonsumenten vertraut: Etwa 90.000 Menschen suchten im Vorjahr in Österreich um Asyl an, heuer soll ihre Zahl auf 37.500 beschränkt werden. Und womöglich weiß man auch noch, dass sich von den 22 Millionen Bewohnern, die Syrien vor dem Krieg hatte, mehr als die Hälfte auf der Flucht befindet.

Wie aber sieht es mit den globalen Migrationsströmen aus? Wie viele Menschen leben in einem anderen Land als jenem, in dem sie geboren wurden? Und warum haben sie ihre Heimat verlassen? Im Fachblatt "Science" fassen vier der weltweit führenden Migrationsexperten den aktuellen Stand des Wissens um die weltweiten Migrationsströme zusammen – und liefern dabei ein eher ernüchterndes Bild.

Wie Frans Willekens (Max-Planck-Institut für Demografieforschung) und seine drei Kollegen eingestehen, weiß man nämlich erstaunlich wenig. Die Forscher halten dieses Wissen jedenfalls nicht für ausreichend, um bestmögliche Entscheidungen für den Umgang mit den aktuellen Migrationsströmen fällen zu können. Zudem argumentieren sie, dass dieses fehlende Wissen dazu geführt hat, ein falsches Bild vom Ausmaß der aktuellen Migrationen entstehen zu lassen.

244 Millionen Migranten

Doch zuerst zurück zu den Zahlen, die Willekens und Kollegen präsentieren: Im Vorjahr lebten 244 Millionen Menschen in einem anderen Staat als ihrem Geburtsland. Das klingt nach viel, ist aber angesichts der Weltbevölkerung von knapp 7,4 Milliarden Menschen und dem hohen Maß an Ungleichheit zwischen den Ländern wenig, nämlich "nur" 3,3 Prozent.

Große Unterschiede gibt es hinsichtlich des Anteils der Zuwanderer an der jeweiligen Landesbevölkerung: In Indien und China sind es weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung und in den USA und Westeuropa rund 14 Prozent. Einige Länder des Nahen Ostens, aber auch der Karibik kommen hingegen auf über 50 Prozent.

Faktoren für die Flucht

Schon sehr viel weniger weiß man über die Migrationsgründe: Die Vereinten Nationen schätzen, dass 60 Millionen wegen Kriegen zur Flucht gezwungen waren – das sind deutlich mehr als 37 Millionen noch vor zehn Jahren. Armut, schlechte Arbeits- und Bildungschancen oder Familiennachzug sind weitere Faktoren, die zur Migration führen. Offensichtlich ist auch, dass sehr viel mehr Menschen daran denken, in ein fremdes Land aufzubrechen, als es dann tatsächlich tun.

Aber hier wird es mit dem Datenmaterial endgültig prekär: Eine Gallup-Studie aus dem Jahr 2005, für die weltweit 750.000 Menschen im Alter von über 15 Jahren befragt wurden, kam zum Schluss, dass 14 Prozent auswandern würden, wenn sie könnten.

"Insgesamt wissen wir aber viel zu wenig über Migration, um verlässliche Aussagen treffen zu können", gesteht Frans Willekens. Das größte Manko seien dabei die Daten, und deshalb richten die Forscher auch einen Appell an die Forschergemeinschaft wie auch an die Politik, um unter anderem durch bessere Koordination künftig besseres Wissen über Migrationen bereitstellen zu können.

"Europa hat natürlich in den vergangenen zwei Jahren einen starken Zustrom von Flüchtlingen erfahren", so der Migrationsexperte. Gemessen an der Weltbevölkerung sei die Zahl der Menschen, die nach Europa kommen, immer noch vergleichsweise gering. "Dieser Zustrom zeigt aber auch, was Globalisierung bedeutet", sagt Willekens, "und dass Europa dringend eine Haltung angesichts dieser zunehmend vernetzten Welt finden muss." (tasch, 21.5.2016)