STANDARD: Sie haben einen trockenen Humor, an dem sich manche Zuseher stoßen. Wie wichtig ist Ihnen der richtige Schmäh in der Moderation?

Polzer: Ich überlege mir vorher keine lustigen Wortspiele. Was ich mir zurechtlege, ist der Einstieg, um eine Rampe zu bauen und den Zuseher abzuholen. Das ist auch eine Art Handwerk. Eines ist mir wichtig: Wir reden über Fußball. Es gibt so viele schreckliche Dinge, die sich ereignen. Menschen sollen beim Fußball Spaß haben. Es ist ein wichtiger sozialer, wirtschaftlicher Faktor, aber immer noch Sport. Wir reden nicht über die Geschicke der Weltpolitik, und bitte nicht böse sein, wenn da und dort etwas mit einem Augenzwinkern passiert.

Oliver Polzer.
Foto: STANDARD/Newald

STANDARD: Einige werden aber doch böse. Lassen Sie Kritik des Publikums an sich heran?

Polzer: Man kann keinen Bogen darum machen. Der Kritik auszuweichen ist nicht möglich, und das möchte ich auch nicht. Ich unterscheide nur zwischen sinnvoller Kritik und haltlosem Schimpfen. Das lasse ich nicht an mich heran. Ich betreibe seit zwei Jahren eine Facebook-Seite und lösche jene Kommentare, in denen nur geschimpft wird. Die Seite sollte einen Mehrwert geben, Hintergründe aus dem Leben eines Sportreporters liefern und ist nicht dazu da, dass ich mich beschimpfen lasse.

STANDARD: Haben Sie sich im Lauf der Zeit eine dicke Haut zulegen müssen?

Polzer: Die musst du haben. Ich habe rund 300 Spiele kommentiert und bereite jedes so vor wie mein erstes. Das mache ich akribisch. Ich kann in den Spiegel schauen. Es war noch nie der Versuch da, jemanden schlechtzureden oder eine Mannschaft zu bevorzugen. So ernst nehme ich meinen Job. Kommt dann dennoch Schimpferei, muss man eine dicke Haut haben. Ich bin ein Familienmensch und möchte das nicht heimtragen. Meine Familie darf nichts abbekommen, sonst wäre ich auch falsch in dem Beruf.

STANDARD: Muss man sich damit abfinden, dass man es ohnehin nicht allen recht machen kann?

Polzer: Klar, aber hier halte ich es mit meinem deutschen Kollegen Marcel Reif: Wenn du als Kommentator 50 Prozent der Menschen auf deine Seite ziehen kannst, hast du alles geschafft. Es liegt in der Natur der Sache, dass es nicht allen gefällt. Es werden nicht alle den aktuellen Friedensnobelpreisträger lieben oder alle Armin Wolf großartig finden. Obwohl er für mich der beste Fernsehjournalist in diesem Land ist.

STANDARD: Wie kommt es überhaupt, dass ein Moderator Zuseher auf die Palme treiben kann?

Polzer: Das hat weniger mit mir als Person zu tun, sondern mehr mit dem Thema. Fußball an sich polarisiert unglaublich. Sehr viel an derber Kritik kommt genau dann, wenn jemand enttäuscht ist. Kommt etwas per Mail, das sehr heftig ist, schreibe ich zurück. Nicht selten kommt es vor, dass die Leute dann schreiben, dass es ihnen leid tut und sie einfach enttäuscht waren, weil ihr Team verloren hat. Als Kommentator übernehme ich die Position des Reibebaums. Die Menschen geben dir teilweise die Schuld. Ich nehme meinen Job ernst und versuche zu hundert Prozent objektiv zu sein.

STANDARD: Im Klubfußball geht das leichter als bei Länderspielen.

Polzer: Wenn Österreich spielt, ist das nicht so einfach. Im Klubfußball habe ich aber keine Präferenz. Für die Anhänger der unterlegenen Mannschaft ist das nicht immer fein. Für viele ist dann jedes Wort falsch, das äußert sich teilweise in derber Kritik. Es waren schon auch heftige, ordinäre Sachen dabei.

STANDARD: Wie viele Reaktionen gibt es nach einem Länderspiel?

Polzer: Es kommt sehr auf das Match an. Nach dem 4:1-Sieg in Stockholm, das die EM-Qualifikation endgültig besiegelt hat, dachte ich: Wow, das war super. Es waren aber viele Emotionen dabei, das war etwas übertrieben. Dann kommen sehr rasch viele Reaktionen. Auf der einen Seite jene, die sagen: Taugt mit, dass da jemand Gas gibt und lauter wird. Auf der anderen Seite jene, die diese Schreierei nicht mögen.

STANDARD: Ist die emotionale Seite bewusst inszeniert?

Polzer: Reinen Gewissens kann ich sagen, dass ich noch nie etwas gespielt habe. Dazu bin ich zu wenig Schauspieler. Bei der Emotion bin ich ja komplett von dem abhängig, was auf dem Spielfeld passiert. Ich kann kein schlechtes Spiel schönreden oder umgekehrt. Bei einer grottenschlechten Partie kannst du als Kommentator eine Arie singen, am Ende werden sie trotzdem sagen, dass das nicht besonders gut war. Wird das jetzt zum Beispiel ein tolles Champions-League-Finale mit Toren und Begeisterung, dann sagst du zweimal den Spielstand durch und die Leute sagen: Das war gut heute.

Foto: STANDARD/Newald

STANDARD: Den deutschen Kollegen sagt man nach, weniger patriotisch zu kommentieren. Ist das vorbildlich?

Polzer: Auch dort gibt es große Unterschiede. Vor vielen Jahren habe ich angefangen mit Marcel Reif zu arbeiten. Wir schauen uns Spiele von mir an, reden darüber und analysieren. Ich hänge an seinen Lippen, wenn wir einen Tag gemeinsam verbringen, was in etwa alle zwei Jahre der Fall ist. Der ist für mich ein großes Vorbild, weil er sich sehr zurücknimmt, Spiele gut interpretiert.

STANDARD: Kritisiert wird, dass bei Länderspielen mit Österreich-Beteiligung zu viel Patriotismus im Spiel ist. Wie sieht da die Gratwanderung aus?

Polzer: Die Emotion, die das Nationalteam auch bei mir hervorgerufen hat, ist eine Schöne. Meine Rolle als Kommentator ist auch die eines Dienstleisters. Ich versuche Hintergründe zu erklären, ein Spiel zu lesen, zu interpretieren und zu vermitteln, was Leute vor dem Bildschirm nicht sehen können. Aufpassen muss man, dass einen die Emotion nicht blockiert oder blind macht. Das ist die Gefahr. Es soll ja keine Schreierei werden. In dieser Qualifikation habe ich bemerkt, dass ich wieder neu an mir arbeiten muss. Vom Stil her möchte ich eigentlich jemand sein, der sich zurücknimmt.

STANDARD: Ist das Feedback der Zuseher von Sport zu Sport unterschiedlich?

Polzer: Bei Skirennen kommt nahezu nichts Negatives. Dann gehe ich zum ersten Fußballspiel im Frühjahr, stehe mit meinem Kollegen Peter Hackmair an der Outlinie, wir machen ein Foto, ich stelle es online, und die Leute schimpfen schon. Dann ist mir auch klar, welchen Wert das hat. Es werden Essays und Bücher geschrieben, was im Netz los ist, dass es Echokammern gibt, wo sich Menschen sehr gerne auskotzen, weil es anonym halt so fein ist.

STANDARD: Es scheint, als würden Fehler heute vom Publikum strenger beurteilt.

Polzer: Ich glaube nicht, dass die Kontrolle jetzt stärker ist, sie erreicht uns nur direkter. Etwa durch soziale Medien. Man kann ein Fußballspiel nicht mehr so kommentieren wie vor 20 Jahren, das Publikum ist mehr an Taktik interessiert und nicht nur an Emotion. Man kann den Menschen nicht mehr erzählen, was sie ohnehin sehen, sondern muss Hintergründe liefern.

STANDARD: Die Ansprüche der Zuseher sind gestiegen.

Polzer: Sie haben sich verändert, sind aber wohl auch gestiegen. Das hängt natürlich auch mit der Breite zusammen. In meiner Kindheit gab es vier, fünf Fußballkommentatoren im ORF, jetzt gibt es mehrere Sender mit viel mehr Kommentatoren und Stilen. Leute können sich mehr an den Kommentatoren reiben und sagen: Den mag ich, den nicht.

STANDARD: Der ORF sichert sich die teuren Rechte für den Sport und muss ein Produkt verkaufen. Sind Sie dann nicht nur als Kommentator, sondern auch als Verkäufer tätig?

Polzer: Es ist nicht meine Aufgabe, jedes Bundesligaspiel schönzureden. Was auf dem Feld passiert, liegt nicht in meiner Verantwortung. Ich sehe mich als Dienstleister. Im Idealfall sagen die Zuseher nach dem Schlusspfiff, dass sie durch mich Sachen erfahren haben, die sie sonst nicht erfahren hätten. Das ist meine Aufgabe und sonst nichts. In der Schlussphase darf ich den Zusehern schon sagen, dass ich froh bin, dass sie noch dabei sind, weil heute eine andere Beschäftigung besser gewesen wäre.

STANDARD: Zum Skizirkus: Sie sagen oft "der Marcel", wenn es um Hirscher geht. Das erzeugt ein Gefühl der Distanzlosigkeit. Widerspricht das nicht journalistischen Grundregeln?

Polzer: Vielleicht hat es damit zu tun, dass man den Skisport zu zweit kommentiert. Mit einem ehemaligen Skifahrer, der das schon so sagt. Man passt sich an und ist näher an den Athleten. Wir sind draußen in der Natur, am Berg, wo man gleich mit jedem per Du ist. Es ist einfach familiärer, anders kann ich es mir nicht erklären. Ich versuche, die für die Objektivität wichtige Distanz zu wahren. Kritisches Nachfragen geht mit dem Du-Wort nicht gut.

Marcel Hirscher.
Foto: APA/AFP/FABRICE COFFRINI

STANDARD: Beim Marcel, also bei Hirscher, fällt die Nähe besonders auf.

Polzer: Das hat vielleicht damit was zu tun, dass er Everybody's Darling ist. Man fühlt sich per Du mit ihm. Aber wenn das die Leute stört, kann ich es auch verstehen. Gerade beim Marcel muss man aber nicht übermäßig kritisch sein. Der ist ohnehin selbstkritisch, wenn er ein Rennen mit wenig Vorsprung gewinnt.

STANDARD: Waren Sie schon einmal sprachlos?

Polzer: Ja, beim Skifahren schon oft. Etwa nach den schweren Stürzen in Kitzbühel. In solchen Situationen geht es nicht darum, sich als Kommentator zu positionieren oder zu profilieren, sondern maximal darum, die richtigen Worte zu finden. Das ist sehr schwierig.

STANDARD: Trotzdem können Sie nicht drei Minuten schweigen.

Polzer: Absolut. Aber dort ist Gefühl gefragt und das oberste Gebot in der Interpretation meines Berufs: ehrlich sein. Bist du das, kannst du nicht viel falsch machen.

STANDARD: Nach den Anschlägen von Paris musste ARD-Kommentator Tom Bartels das Spiel zwischen Frankreich und Deutschland weiterkommentieren. Bereitet man sich auf so ein Szenario vor?

Polzer: Nein. Das geht gar nicht, und ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn ich während einer Tragödie im Fernsehen sprechen muss. Ich hoffe, dass ich es kann und die richtigen Worte finden würde. Vorbereiten möchte ich mir aber keine.

STANDARD: Fahren Sie mit einem mulmigen Gefühl nach Frankreich?

Polzer: Ganz ehrlich, ja. Ich hatte das Gefühl bereits, als wir nur wenige Wochen nach den Anschlägen zur EM-Auslosung gefahren sind. Ich merke bei mir, auch generell beim Fliegen oder Reisen, dass ich nachdenklicher werde, seit ich Familie habe. (Philip Bauer, Oliver Mark, 21.5.2016)