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Zwergenaufstand in der Finanzwelt: Immer mehr Start-ups mischen die Bankenbranche auf. Sie wollen das klassische Geschäft durch innovative Technologien revolutionieren und den Geldhäusern so Kunden abjagen. Am Kapitalmarkt werden diese Firmen hoch gehandelt.

Doch ein Blick auf einige der US-Vorreiter der Fintech-Szene weckt Zweifel und zeigt: Anleger und Kunden sollten genau hinschauen, denn die Geschäftsmodelle sind nicht immer solide.

Mehr als 5.000 Fintech-Start-ups

"Es gibt weltweit inzwischen mehr als 5.000 Fintech-Start-ups", erklärt Experte Serguei Netessine. Derzeit kämen im Monats-, wenn nicht gar Wochentakt neue Akteure hinzu, sagt der Professor der Wirtschaftshochschule Insead. Dieses atemberaubende Wachstum zeige, wie groß der Hype rund um das Thema Fintech inzwischen sei.

"Fintech" – das steht für financial technology, Finanztechnologie also. Viele der Firmen werden von Investoren mit Geld überschüttet – etwa 50 Fintechs werden laut Netessine bereits mit über einer Milliarde Dollar (893 Mio. Euro) bewertet. Auch in Deutschland boomt die Branche.

Gründergeist

In Frankfurt und Berlin tummelt sich eine rege Szene, die auf Konferenzen den Gründergeist beschwört und den Finanzsektor umkrempeln will. Bonitätsprüfung und Anlagetipps wie von Geisterhand: Software-Algorithmen sollen den Banker ersetzen, Kosten senken und Abläufe beschleunigen. Vorsprung durch Technologie, lautet das Versprechen, Ärgernisse wie hohe Gebühren für Bargeldautomaten oder Wertpapierkäufe sollen Kunden dadurch erspart bleiben.

Selbst Vertreter der etablierten Geldindustrie erkennen an, dass Fintechs einen wunden Punkt treffen. Und viele große Banken haben bereits auf den Trend reagiert. Auch der Dax-Konzern Deutsche Börse hat jüngst einen "Fintech-Hub" gestartet und das Land Hessen möchte die Szene rund um den Finanzplatz Frankfurt ansiedeln. Die private Uni Frankfurt School of Finance bietet künftig einen Fintech-Schwerpunkt in BWL-Studiengängen an.

Die meisten deutschen Firmen sind zwar noch im frühen Stadium

Das Silicon Valley macht der Wall Street zunehmend Konkurrenz, so heuerte beispielsweise der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain kürzlich beim Fintech-Unternehmen SoFi aus San Francisco an. Die meisten deutschen Firmen sind zwar noch im frühen Stadium, einzelne aber auch schon weiter. Die Fintech Group mit dem Online-Broker Flatex etwa ist an der Frankfurter Börse derzeit rund 240 Mio. Euro wert, das größte deutsche Fintech, der im TecDax notierte Online-Zahlungsabwickler Wirecard dagegen gut 5 Mrd. Euro.

Dass es beim Fintech-Trend zwar viel Euphorie, aber keine Erfolgsgarantie gibt, zeigen prominente US-Beispiele. Das hohe Risiko wurde Anlegern zuletzt schmerzhaft von LendingClub vor Augen geführt, einem Start-up aus San Francisco, das Kredite zwischen Privatleuten vermittelt. Beim Börsengang Ende 2014 hatte Vorstandschef Renaud Laplanche noch als Ziel ausgegeben, "das ganze Banksystem zu verändern" – seitdem ist die Aktie von über 24 auf weniger als vier Dollar gesunken. Der lange wegen seines Turbo-Wachstums gefeierte US-Pionier der Online-Kreditvermittlung befindet sich im freien Fall.

Dubiose Geschäftspraktiken

Laplanche musste jüngst seinen Hut nehmen, nachdem er öffentlich eingestanden hatte, dass LendingClub wegen des Verdachts dubioser Geschäftspraktiken ins Visier des US-Justizministeriums geraten ist. Besonders pikant: Im Zentrum der Vorwürfe soll ausgerechnet Schlamperei beim Weiterverkauf von zu Wertpapieren gebündelten Kreditpaketen an die Wall Street stehen. Mit solchen Manövern hatten die etablierten Banken 2008 das Finanzsystem an den Abgrund gebracht.

LendingClubs Absturz aus dem Fintech-Himmel wirft Schatten auf das "Crowdlending"-Geschäftsmodell insgesamt. Dabei werden Kreditnehmer und Sparer, die Geld anlegen wollen, im Internet zusammengebracht. Die Geschäftsidee wurde auch in Deutschland von mehreren Anbietern aufgegriffen – unter anderem von der Firma Lendico aus der Start-up-Schmiede Rocket Internet.

Nicht nur LendingClub wurde hochgehandelt und fiel dann tief. Zenefits, das den Versicherungsmarkt mit seiner Software aufrollen wollte und zwischenzeitlich mit 4,5 Mrd. Dollar bewertet wurde, ergeht es kaum besser. Das Start-up, bei dem Erfolge mit Whisky und Tequila im Großraumbüro begossen worden sein sollen, hatte offenbar in mehreren US-Staaten keine gültigen Lizenzen. Nach Chefwechsel und Alkoholverbot soll nun der Neustart gelingen. (APA, 20.5. 2016)