Die französischen Gewerkschaften werfen ihre schwersten Bataillone in die Schlacht. Den Auftakt machten am Dienstag die Fernfahrer, deren Blockadepotenzial bei Pariser Regierungen besonders gefürchtet ist. Die Sattelschlepper sperren seit Dienstag die Zufahrt zu Städten wie Caen sowie Benzindepots. Am Mittwoch traten auch Eisenbahner in den Ausstand. Das behinderte vor allem den regionalen Zugverkehr, etwas weniger die TGV-Linien und die Pariser Metro. Im Verlauf dieser Woche wollen die Docker in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille folgen, in Paris die Fluglotsen.

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Die Streikenden verlangen nach wie vor den Rückzug des neuen Arbeitsrechts. Lastwagenchauffeure rechnen vor, dass die Lockerung der 35-Stunden-Woche dazu führe, dass ihre Überstunden nicht mehr um 25, sondern nur noch um 10 Prozent höher entlohnt würden, weshalb sie pro Monat bis zu 200 Euro weniger verdienten.

In den Demonstrationen fallen Transparente mit dem simplen Schriftzug "49-3" auf. Diesen Verfassungsartikel hatte die Linksregierung von Präsident Hollande vergangene Woche eingesetzt, um die Arbeitsreform ohne Parlamentsabstimmung durchzuboxen. Nach einer langen Debatte hatte die Vorlage keine Mehrheit gefunden.

Hollande: "Werde nicht nachgeben"

Obwohl ihm das aufreibende Tauziehen mit dem linken Parteiflügel und den Gewerkschaften ins Gesicht geschrieben stand, sagte Hollande in einem Radiointerview: "Ich werde nicht nachgeben." Der Präsident setzt auf einen Abnützungseffekt und die Spaltung der Gewerkschaftsfront. Während die ehemals kommunistische CGT die Konfrontation bewusst sucht, bleibt die gemäßigte Rivalin CFDT auf Distanz.

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Laut Umfragen ist eine Mehrheit der Befragten weiter gegen die Reform – und für die Bewegung Nuit debout, die aus der Protestbewegung hervorgegangen ist. Noch mehr Franzosen – 80 Prozent laut Umfragen – sind allerdings gegen die Gewaltakte, die seit Wochen die Demos begleiten. Junge Anarchisten und Aktivisten haben mit Pflastersteinen und Eisenstangen schon mehr als 300 Bereitschaftspolizisten verletzt.

Am Mittwoch versammelten sich mehrere Tausend Ordnungshüter in sechzig Städten, darunter auch dem Pariser Platz der Republik, wo sonst die Nuit-debout-Anhänger tagen. Bei den stehenden Demonstrationen wandten sich Polizisten in zivil gegen die "haine anti-flic", den "Hass auf die Polypen". Sie haben genug, von professionell operierenden "casseurs" (Schlägern) bei den Demos vermöbelt zu werden. Und dies, nachdem sie seit den Terroranschlägen des 13. November in permanenter Alarmbereitschaft sind.

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Allgemeines Durcheinander

Die Demo der einen (Polizisten) gegen die Demos der anderen (Reformgegner) verstärkt nur noch den Eindruck eines allgemeinen Durcheinanders. Hollande gab die Anweisung, dass ein paar Dutzend Frontaktivisten mit einem individuellen Demoverbot belegt werden – was diese allerdings gerichtlich und zum Teil erfolgreich anfechten. Ein paar Wiederholungstäter erhielten mehrmonatige Haftstrafen, nachdem sie CRS-Polizisten spitalreif geschlagen hatten.

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Der Ausgang des Kraftakts um die Arbeitsreform ist offen. Die Reformgegner scheinen allerdings nach wochenlangen Protesten kaum mehr in der Lage, eine generalstreikartige Bewegung loszutreten. Hollande hat nicht unrecht mit der Feststellung, dass Frankreich derzeit keineswegs völlig blockiert sei. Die Gewerkschaften und Studentenverbände brachten diese Woche nur noch 200 000 Gegner der Arbeitsreform auf die Straße; im März waren es noch doppelt so viele gewesen.

Die Staatsspitze will das Gesetz noch im Juni in zweiter und letzter Lesung durch die Parlamentskammern bringen – wahrscheinlich erneut mit der "Verfassungskeule" des Artikels 49-3. Damit hätte sie die Sozialbewegung in die Knie gezwungen – doch der politische Preis für Hollande wäre hoch.

Holzhammer

Die Gewerkschaften monieren schon jetzt, die institutionelle Holzhammermethode sei politisch ebenso gewaltsam wie die Randale auf der Straße. Der linke Flügel des Parti Socialiste ist noch verbitterter über "seinen" Präsidenten, als er es schon bisher war. Er wirft ihm vor, er treibe mit der Arbeitsreform die Arbeiterschaft in die Arme des rechtsextremen Front National. Ökonomen wie Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole meinen im Gegenteil, Hollandes Gesetz versuche gerade, hunderttausenden von jungen Arbeitslosen den Berufseinstieg zu erleichtern.

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Diese wirtschaftspolitische Debatte spaltet die Linke seit Monaten. Sie dürfte auch die Kampagne für die Präsidentschaftswahlen dominieren. Deshalb rechnen Beobachter damit, dass Hollande das Gesetz der Form halber durchdrücken, es inhaltlich aber weiter entschärfen wird.

Auf jeden Fall wird die Reform damit zu einem Spielball der anstehenden Präsidentschaftswahlen. Je länger der Kraftakt um das Arbeitsgesetz dauert, desto eher droht der Reforminhalt auf der Strecke zu bleiben. Und damit die wirtschaftliche Gesundung Frankreichs. (Stefan Brändle aus Paris, 18.5.2016)