Am Sonntag wählt Österreich das Staatsoberhaupt. Die bisherige Apathie der traditionellen politischen Kräfte lässt es möglich erscheinen, dass ein Nationalist und Gegner des europäischen Einigungsprojekts in die Hofburg einzieht. Norbert Hofer hat im Wahlkampf kein Hehl aus seinen Plänen gemacht: Er operiert mit Drohungen gegen die Regierung, er lehnt Abtreibungen radikal ab, stellt den Ausgleich mit Italien über Südtirol infrage und setzt auf Abschottung und Isolierung. Er trägt bei feierlichen Anlässen die Kornblume, das Erkennungszeichen der illegalen Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren.

Kurz gesagt: Hofer sucht die Konfrontation, stellt das politische System infrage und schlägt den Wählerinnen und Wählern einen Weg à la Ungarn und Polen vor.

Stillstand, Verkrustung, personelle Verengung und Versteinerung im Land führen zu einer Ohnmacht, die Norbert Hofer das Stimmensammeln erleichtert. Die Zukunftsängste vieler Menschen sind nicht nur nachvollziehbar, sie sind berechtigt. Der von Hofer in Aussicht gestellte Sturz des politischen Systems ist freilich eine gefährliche Rezeptur. An der Konfliktscheu in unserem Land, der Fähigkeit, viel zuzudecken und sich immer durchzuschwindeln, kann man schon verzweifeln. Aber wollen wir darüber wirklich vergessen, welchen Wert der gewaltfreie Austausch von Positionen hat?

Die Tradition, Konflikte im Gespräch auszutragen, Foren wie die Sozialpartnerschaft einzurichten, hat 70 Jahre Frieden und lange Zeit einen wachsenden Wohlstand gebracht. Die Öffnung zu Europa und starke Zuwanderung haben Wien von einer verschlafenen Stadt der 1970er-Jahre zu einem der spannendsten Ballungsräume Europas gemacht.

Das ist durchaus eine Erfolgsgeschichte: Und ihr zentrales Element ist der Respekt zwischen Menschen unterschiedlicher Haltung und ein Grundvertrauen zwischen den Inhabern öffentlicher Ämter. Die Demokratie besteht nur, wenn die maßgeblichen politischen Kräfte laufend aufeinander zu- und eingehen; ohne diesen mühsamen Prozess gibt es keinen gesellschaftlichen Frieden.

Deshalb sind die rechtspopulistischen Kräfte mit ihren einfachen Botschaften und der Ausgrenzung von Minderheiten und Andersdenkenden im demokratischen System nicht regierungsfähig. Die Politik der europäischen Rechten, für die Hofer, Le Pen, Wilders oder Petry stehen, führt, wenn ihre Protagonisten an die Macht kommen, zwangsläufig zu Nationalismus, inneren Unruhen und Gewalt. Sie hat nur Verlierer.

Vergangene Woche berichteten polnische Juristen in Wien über das vergiftete Klima in ihrem Land: Die Regierung anerkennt Gerichtsentscheidungen nicht, das Verfassungsgericht stichelt gegen die Regierung.

Der fehlende Respekt setzt eine Eskalationsschraube in Gang, vor der die beste Verfassung keinen Schutz gewährt. Diskussionen, wie sie in den letzten Wochen über die Kompetenzen des Bundespräsidenten geführt wurden, helfen in Zeiten eines vergifteten Klimas nichts mehr. Wenn Funktionsträger einander nicht respektieren und das Gespräch verlieren, dann brechen politisches System und gesellschaftlicher Friede in kürzester Zeit zusammen, und der Weg zu gewalttätigen Auseinandersetzungen ist vorgezeichnet – im Inneren wie im Äußeren. Österreichs Politik hat damit Erfahrungen im Kleinen: Jörg Haiders Ignorieren der Ortstafelerkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs war genau so gefährlich wie jüngste Sticheleien einzelner Politiker gegen Italien. Das eine wurde durch die konsensuale Ortstafellösung eingefangen, gegenüber Italien wurde in den letzten Tagen heftig zurückgerudert.

Österreich hat im Grunde viel Grund zur Zuversicht: Unsere Probleme sind lösbar, das Land hat sich eine solide Basis aufgebaut – die in den letzten 40 Jahren zugewanderten Menschen haben daran maßgeblichen Anteil. Das Land verfügt über mehr Initiativen von unten und eine stärkere Zivilgesellschaft denn je; sie bilden den Schlüssel zu einer Aufbruchsstimmung, zu der nur ein kleiner Schritt fehlt. Lässt sich wirklich kein Konsens dazu finden, die Wirtschaft durch öffentliche Investitionen zu beleben, es Unternehmern und neuen Selbstständigen leichter zu machen und den Konsum durch Lohnerhöhungen anzukurbeln? Integration durch ein großzügiges Staatsbürgerschaftsrecht zu erleichtern? Wenn wir die vielen Menschen im Prekariat da herausholen, Engagement auf allen Feldern fördern und belohnen, den Sozialstaat als Rückgrat von Wohlstand und Frieden stärken, die großen Konzerne angemessen besteuern, wäre das nicht eine Weiterführung des Erfolgsrezepts der unmittelbaren Nachkriegszeit? All diese Schritte können heute parallel auf nationaler und europäischer Ebene versucht werden; es ist längst Zeit, dass sich die vielen Initiativen in Italien, Deutschland, Österreich und anderen Ländern zusammenschließen und sich als gesamteuropäische Parteien und Bewegungen den Glauben an eine gute Zukunft für alle zurückerobern. Allerdings: Wir haben dafür wenig Zeit.

Ruhiges Diskussionsklima

Unabhängig vom aktuellen Wahlgang wird der Weg aus der vielfach resignativen Stimmung nicht mittels Polarisierung und Hetze gelingen. Wenn wir es schaffen, Dinge klar zu benennen, Ängste und Befürchtungen der anderen ernst zu nehmen und gleichzeitig ein respektvolles, ruhiges Diskussionsklima herzustellen, in dem man sich wieder mit dem politischen Gegner an einen Tisch setzt, dann werden auch Lösungen gelingen. Nicht ohne klare Grenzen: für autoritäre, rassistische und verhetzende Ideen kann es keinen Platz geben; das gebieten Verfassung und Erfahrungen aus der Geschichte. Aktuell hindert uns aber eine allseitige permanente Aufregung an jedem Dialog. (Oliver Scheiber, 17.5.2016)