"Hunger" steht auf dem Plakat dieser Demonstrantin. Am Wochenende protestierten in Venezuelas Hauptstadt Caracas erneut Tausende gegen die Regierung und die Versorgungskrise im Land.

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Caracas/Wien – Mit Zähnen und Klauen verteidigt Venezuelas Präsident Nicolás Maduro dieser Tage seine Macht. Seit geraumer Zeit schon setzt die sozialistische Regierung auf extreme Maßnahmen, um die schwierige Versorgungslage im südamerikanischen Land zu verbessern. Nun hat Maduro sich und dem Militär weitere Sondervollmachten verliehen, wie aus einem Dekret hervorgeht, das im Amtsblatt "Gaceta Oficial de La República Bolivariana de Venezuela" veröffentlicht wurde.

Demnach sollen Militär und Bürgerwehren "die Verteilung und Vermarktung von Lebens- und Grundnahrungsmitteln" garantieren. Das bedeutet, dass Bürgerwehren nunmehr das Recht haben, Armee und Polizei "bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" zu unterstützen. Und dass Unternehmen zur Produktion gezwungen werden dürfen. Zuletzt hat der größte Nahrungsmittel- und Getränkehersteller Polar die Bierproduktion eingestellt, weil ihm der Grundstoff ausgegangen war: Aus Devisenmangel konnte kein Gerstenmalz mehr importiert werden. Maduro kündigte daraufhin an, Geschäftsleute, die die Produktion lahmlegen, in "Handschellen zu legen" und zu enteignen.

Vorwurf des Wirtschaftskriegs

In Venezuela kontrolliert der Staat den Devisenhandel. Maduro wirft Polar und anderen privaten Konzernen vor, aus ideologischen Gründen einen Wirtschaftskrieg gegen seine Regierung zu führen, um das ohnehin schon wirtschaftlich angeschlagene Land weiter zu destabilisieren.

Seit Jahren schon schrumpft die Wirtschaft, die Inflation liegt im dreistelligen Bereich, hinzu kommen der Ölpreisverfall und neuerdings auch eine Dürre, durch die die Energieversorgung nicht mehr gesichert werden kann. Brot, Milch, Toilettenpapier, Medikamente, Kondome sind kaum mehr zu haben. Bier stellte bis zuletzt eines der wenigen Produkte dar, die es problemlos zu kaufen gab.

Die neue Ermächtigung räumt dem Präsidenten weitere außergewöhnliche Rechte ein: In Artikel drei etwa wird festgehalten, dass der Präsident autorisiert wird, "Maßnahmen der sozialen Ordnung (...) sowie im ökonomischen, politischen und juristischen Bereich anzuordnen". Mit "Spezialmaßnahmen" soll etwa eine Einmischung des Auslands in innere Angelegenheiten unterbunden werden, berichtete die venezolanische Tageszeitung "El Universal". Gegen ausländische Nichtregierungsorganisationen kann vorgegangen werden, wenn sie der Einschätzung des Außenministeriums zufolge die Stabilität des Landes gefährden.

Opposition lehnt Ausnahmezustand ab

Bereits am vergangenen Freitag hatte die Regierung in Caracas den geltenden Notstand um weitere 60 Tage verlängert – ein Schritt, den sie einmal mehr mit der Begründung rechtfertigte, die USA und Venezuelas Gegner im Inland wollten die Regierung stürzen.

Die Opposition allerdings wies am Dienstag (Ortszeit) die Verhängung des Ausnahmezustands als nicht verfassungsgemäß zurück.

Oppositionsführer Henrique Capriles rief die Armee auf, sich zwischen der Verfassung und Maduro zu entscheiden. Maduro sieht ein Komplott der USA hinter den Bestrebungen der Opposition zu seiner Ablösung.

Das Dekret zur Verhängung des Ausnahmezustands verschlimmere die "tiefe Zerrüttung" von Verfassung und Demokratie im Land noch weiter, befand die Opposition bei ihrer Abstimmung in Caracas. Zuvor hatte Capriles bei einer Pressekonferenz gesagt: "Wenn Maduro dieses Dekret umsetzen will, muss er die Kampfflugzeuge und die Panzer herausholen." Die Opposition werde das Dekret "ignorieren".

"Zeitbombe" Venezuela

All das gibt Maduro nicht nur eine größere Machtfülle, als er ohnehin bereits besitzt, es zeigt auch, wie stark der Druck ist, unter dem Venezuelas Präsident steht. Die Opposition stellt zwar seit den Wahlen im Dezember 2015 über die Mehrheit im Parlament, sie wird jedoch immer wieder durch den Obersten Gerichtshof gebremst. Deshalb möchte sie Maduro nun per Referendum zu Fall bringen. 1,8 Millionen Unterschriften hat sie gesammelt, um die Regierung per Volksabstimmung abzusetzen – 200.000 hätten ausgereicht.

Maduro wiederum setzt alles daran, ein Abwahlverfahren zu verhindern. Am vergangenen Sonntag hat Vizepräsident Aristóbulo Istúriz einem Referendum eine Absage erteilt: Die Opposition habe dieses zu spät beantragt. Am Wochenende waren erneut tausende Menschen in der Hauptstadt auf die Straße gegangen, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Eine "Zeitbombe" nannte Henrique Capriles sein Land. Für den heutigen Mittwoch kündigte die Opposition weitere Proteste an. (Anna Giulia Fink, 18.5.2016)