Ihre wissenschaftliche Initiation erfuhr Susanne Scheipl als 19-jährige Medizinstudentin bei einem Nebenjob: Damals befüllte sie das neue Tumorregister der im Aufbau befindlichen Tumororthopädie an der Grazer Med-Uni mit den Daten operierter Krebspatienten. "Diese Arbeit hat mein Interesse an Knochentumoren geweckt und in der Folge auch meine Spezialisierung auf die Orthopädie veranlasst, die für die Behandlung solcher Krebserkrankungen zuständig ist", berichtet die Fachärztin.
Ihre zielgerichtete Forscherleidenschaft hat der 36-Jährigen mehrere Preise und Stipendien eingebracht – unter anderem ein Marietta-Blau-Stipendium des Wissenschaftsministeriums sowie ein Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF, das ihr einen dreieinhalbjährigen Forschungsaufenthalt am Cancer Institute des University College London ermöglichte.
Die dortige Abteilung für Pathologie befasst sich vor allem mit der Erforschung von Chordomen, einer seltenen und bösartigen Art von Knochentumoren, an der Scheipl auch in Graz geforscht hat. "Chordome wachsen zwar langsam und bilden selten Metastasen, doch weil es bislang kaum Behandlungsmöglichkeiten gibt, sind die Prognosen bei dieser Krebsart dennoch schlecht", erläutert die Forscherin. Um mögliche neue Therapieansätze auszuloten, hat sie gemeinsam mit ihren Londoner Forscherkollegen ein Wirkstoff-Screening von über 10.000 Kinase-Hemmern durchgeführt. Kinasen sind Enzyme, die an der Entstehung und Ausbreitung von Krebserkrankungen beteiligt sein können.
Obwohl Scheipl längst "fertige" Fachärztin ist, schreibt sie zurzeit quasi als Fleißaufgabe eine Dissertation, in die viele Ergebnisse ihrer aktuellen Arbeit einfließen. Und dann kann es auch bald mit der Habilitation losgehen. Die Gefahr, dass London bei diesem Arbeitsprogramm nur eine beeindruckende Kulisse vor den Laborfenstern bleibt, ist bei der Grazerin dennoch begrenzt. "Ich genieße diese großartige Stadt gemeinsam mit meinen Kollegen, die mittlerweile Freunde sind, durchaus." So erforscht man neben neuen Krebstherapien mit konstanter Begeisterung auch die tollsten Londoner Pubs, Restaurants und Events.
Ein Abenteuer für sich ist auch die internationale Forschertruppe um die renommierte Krebsforscherin und Pathologin Adrienne Flanagan, in der Scheipl arbeitet: "Wir sind an die 20 Leute aus allen Teilen der Welt – sogar einen Engländer haben wir dabei", lacht sie. Ob sie sich vom pulsierenden Leben dieser hippen Metropole nach fast vier Jahren wieder trennen kann und will?
Zumindest steht nach Auslaufen des Schrödinger-Stipendiums im heurigen Herbst eine Entscheidung an. "Ich möchte auf alle Fälle nach Graz zurück, um dort mein neues Wissen als Forscherin und Ärztin umzusetzen und die entstandenen Kooperationen zu nutzen", ist sich Scheipl sicher.
Außerdem sind da noch die Familie, die Freunde, das Essen und auch die spezielle österreichische Mentalität, die auf der Insel trotz all ihrer Reize fehlen. "Ich mag den trockenen englischen Humor, aber das spontane Lachen, das in Österreich jederzeit und überall zu hören ist, das liebe ich." Beim Abschied im Oktober werden sich Lachen und Weinen vermutlich die Waage halten. (Doris Griesser, 18.5.2016)