Dichter Peter Rosei ergründet die heimische Mentalität.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Vor mehr als einem Jahrzehnt hat Autor Peter Rosei begonnen, "Wiener Dateien" zusammenzutragen. Entstanden ist eine Erzählchronik unserer Gegenwart, wie sie in der deutschsprachigen Literatur ihresgleichen sucht. Auf Wien Metropolis (2005) folgten vier weitere Romane. Zusammen ergeben die fünf Bücher eine Komödie des Allzumenschlichen, eine Chronik des heimischen Neoliberalismus, die nach Fortsetzung schreit. Am 17. Juni feiert Rosei seinen 70. Geburtstag.

In seiner Pentalogie entwirft er ein Wimmelbild. Ein Mosaik der Gesellschaft, wobei der Autor kein Prosasteinchen zu viel verwendet. Erzählt wird auf engstem Raum von der Gier der Aufstiegswilligen. Von der Chuzpe, mit der Menschen aus den sprichwörtlich kleinen Verhältnissen zum großen Geld hindrängen. Rosei hat seine "Comédie autrichienne" zügig Band um Band erweitert.

Er hat den Aussteigern aus der Provinz Stimme und Antlitz verliehen (Das große Töten, 2009). Er hat die Geschichte der gierkapitalistischen Geldvermehrung in den gehobenen Kreisen angesiedelt (Geld!, 2011). Er hat erzählt, wie die Kinder der Beamten und der Gewerbetreibenden labile Allianzen bilden, um schließlich gemeinsam unterzugehen (Madame Stern, 2013). Und er hat hohnlachend gezeigt, wie ähnlich sich die Geschäftsbetrüger in Sankt Petersburg und im Salzkammergut in Wirklichkeit schauen (Die Globalisten, 2014).

Roseis amüsanter Erzählrealismus arbeitet mit Auslassungen und Ellipsen. Die Figuren, allesamt von erfrischender Durchschnittlichkeit, zappeln wie Fliegen im Netz der erlebten Rede. Die Blindheit der handelnden Personen ist ein Erbteil der heimischen Geschichte.

In Österreich erklärt man den Schein, schon der Bequemlichkeit halber, für das Wesen. Wo aber, in Ermangelung von Tiefenschärfe, alles gleichermaßen wesentlich wird, ist auch nichts mehr richtig ernst zu nehmen. Mit der Bürde dieses Unernstes schlagen sich Roseis Figuren herum. Sie sind, je nach Erfordernis, dreist, cool oder unbotmäßig. Leider besitzen sie nicht die geringste Vorstellung davon, wie sie sich zu benehmen hätten, damit es allen besser gehen kann. Die einzige Abstraktionsleistung, zu der sie sich imstande sehen, ist die, ihr Tun und Lassen in Geldwerte zu übersetzen. Darin steckt der Kern der Komödie(n). Als solche stehen die "Wiener Dateien" dem Prosagebirge eines Balzac in nichts nach. (Ronald Pohl, 17.5.2016)