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Französische Feuerwehrleute üben den Ernstfall, hier einen Angriff mit chemischen Substanzen im Umfeld des Stadions Geoffroy Guichard von Saint-Etienne.

Foto: reuters/pratta

Gut drei Wochen vor Anpfiff der EM am 10. Juni wird das Stade de France in der nördlichen Banlieue von Paris bereits zur Festung. Ab sofort kommt niemand mehr ohne Spezialbadge hinein – weder Bauarbeiter oder Reinigungsequipen noch Journalisten. Zum Eröffnungsspiel Frankreich gegen Rumänien erwartet die 80.000 Fans eine doppelte Schleuse. Gleich bei zwei Sperren müssen sie sich kontrollieren, abtasten und in die Taschen schauen lassen.

Das Stade de France, ein Ziel der Terroranschläge des 13. November, ist kein Sonderfall. Alle 2,5 Millionen Besucher der 51 EM-Spiele in den zehn über Frankreich verteilten Stadien – von Nizza und Marseille über Lyon und Saint-Étienne bis nach Lille und Lens – haben sich dem gleichen Sicherheitsmarathon zu unterziehen. Es sei denn, ihr Spiel findet gar nicht statt. Die Organisatoren behalten es sich vor, eine Partie kurzfristig vor leeren Tribünen anzusetzen. Oder das Match, wie am Sonntag in Manchester, abzusagen und zu vertagen, was den gedrängten Turnierverlauf rasch über den Haufen werfen könnte.

Eine Geisterpartie mag eine schreckliche Vorstellung für ein Fußballfest sein. Aber Jacques Lambert, der Chef des EM-Organisationskomitees (OK), meinte kurz nach den Attentaten in Paris, es sei den Sicherheitskontrollen zu verdanken gewesen, dass Attentäter nicht in das Stadion gelangen und dort ein Blutbad anrichten konnten (während die drei auf dem Vorplatz explodierten Bomben einen Passanten töteten).

Üben, üben, üben

Seither ließ Lambert in mehreren Stadien großangelegte Notfallübungen mit Hunderten von Freiwilligen organisieren. Geprobt wurden sogar Terrorangriffe mit Chemiewaffen. Sehr beruhigend klingt das nicht. Doch die Behörden scheuen keine Anstrengung, die weitgereisten EM-Besucher zu schützen. Die Tourismusdestination Frankreich leidet schließlich noch heute unter gesunkenen Übernachtungszahlen infolge des 13. November.

Eine Sorge treibt die Veranstalter aber weiter um – die Fanmeilen. Sie stehen den Stadien umfangmäßig nicht nach. Die kleinste ist für 10.000 Menschen gedacht, die größte beim Eiffelturm soll gar 100.000 Besuchern Platz bieten. Während des Turniers werden insgesamt an die sieben Millionen Fans vor den Großleinwänden erwartet.

Diese Zonen sind zwar vom europäischen Fußballverband in den Austragungsorten vorgeschrieben, die Organisation obliegt aber den zehn Städten. Die Herausforderung ist gewaltig: An sich soll die Sicherheit bei den Liveübertragungen gleich hoch sein wie im Stadion, doch das ist schon bautechnisch unmöglich. Nach den Pariser Anschlägen verlangten französische Abgeordnete, ganz auf die Fanmeilen zu verzichten. Abgesehen von den kommerziellen Einbußen – die einst spontanen Happenings sind heute organisierte Events mit Grillbuden, Souvenir- und Merchandisingständen – hieße das auch der Terrorangst zu weichen. Und wie Premierminister Manuel Valls immer wieder klarmacht, kommt das für die französische Regierung nicht infrage. Präsident François Hollande versprach für die EM "maximale Sicherheit". Für ihn ist die Veranstaltung "auch eine Form der Antwort auf den Hass, auf die Spaltung, auf die Angst, auf den Schrecken".

Die Vereinigung der zehn Austragungsstädte, die unter dem Vorsitz von Alain Juppé, dem Bürgermeister von Bordeaux, steht, hat deshalb in Absprache mit der Uefa einschneidende Schutzmaßnahmen in diesen Fanzonen beschlossen. Hohe Zäune und Abschrankungen umgeben sie. Wie auf Flughäfen müssen die Besucher durch Schranken mit Metalldetektoren eintreten. Videokameras überwachen die gesamte Szenerie. Dazu kommen – von der Uefa verlangt – zumindest 350 Ordnungshüter pro Fanmeile. Sie werden von Privatfirmen gestellt oder vermittelt, denn die Polizei ist anderweitig im Einsatz, da sich Frankreich immer noch (und bis nach der Tour de France im Juli) im Ausnahmezustand befindet.

Experten fragen, ob das Auswahlverfahren für die Privatwächter öffentlichen Kriterien genüge. Schon jetzt haben sich die Kosten für die Kontrolle der Fanmeilen auf 24 Millionen Euro verdoppelt. Der Staat legt acht Millionen Euro nach, die Uefa deren vier.

Hoffen, hoffen, hoffen

Dieser gewaltige Aufwand wirft seinerseits Fragen auf: Droht sich das Sicherheitsproblem nicht bloß zu verlagern, wenn die Fanmeilen wie Fußballstadien geschützt werden? Könnten sich Terroristen nicht einfach auf weniger kontrollierte EM-Treffpunkte wie überfüllte Pubs mit Live-Übertragung verlegen? Oder auf die Warteschlangen vor den Zugangsschranken der Fanmeilen, wo nicht die Polizei präsent ist, sondern unbewaffnetes Privatpersonal? Wie auch immer ein sportlicher Großanlass aufgezogen wird: "Ein Nullrisiko", machte OK-Chef Lambert klar, "gibt es nicht." (Stefan Brändle aus Paris, 17.5. 2016)