Jubel nach der Hinrichtung Nizamis.

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Motiur Rahman Nizami galt als einflussreichster Islamist in Bangladesch.

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Schlag Mitternacht endete das Leben von Motiur Rahman Nizami (73) am Galgen eines Gefängnisses in Dhaka. Der Anführer der bangladeschischen Islamistengruppe Jamaat-e-Islami, verurteilt wegen Völkermords, Vergewaltigung und Folter, ist der bisher ranghöchste Islamist, der von dem 2010 ins Leben gerufenen Kriegsverbrechertribunal in dem südasiatischen Land zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde.

Nizami habe eine Miliz gegründet, die in dem heute "Befreiungskrieg" genannten Konflikt 1971 Unabhängigkeitsbefürworter an die pakistanische Armee ausgeliefert hat, urteilte das Gericht. Internationale Menschenrechtsgruppen kritisieren die Verfahren als unfair. Der Tod des ehemaligen Landwirtschaftsministers wirft ein Licht auf einen der blutigsten – und weitgehend vergessenen – Konflikte im Asien der Neuzeit.

Flammende Rede für die Unabhängigkeit

Zwei Millionen Menschen, schätzt man heute, strömten im März 1971 in den Suhrawardy-Udyan-Park im Zentrum der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka, wo der spätere Staatsgründer Mujibur Rahman – seine Tochter Sheikh Hasina ist heute Regierungschefin – in einer flammenden Rede die Unabhängigkeit des damaligen Ostpakistan von Islamabad forderte.

sumansumans

Dass das heutige Bangladesch überhaupt zur Exklave wurde, ist den Wirren nach dem Ende des britischen Kolonialreichs geschuldet. 1948 war die mehrheitlich muslimische Provinz Ostbengalen im Zuge der Teilung Britisch-Indiens Pakistan zugeschlagen worden. Nicht nur lagen 2.000 Kilometer zwischen den beiden Landesteilen, auch kulturell lagen Welten zwischen dem konservativen, urdusprachigen Westen und dem religiös vergleichsweise liberalen, bengalsprachigen Osten. Bengalen kamen bei der Vergabe von Ämtern in Politik, Verwaltung und Militär kaum zum Zug, wirtschaftlich beutete das pakistanische Regime seine ferne Provinz fast wie eine Kolonie aus.

Massenvergewaltigungen und Massaker

Als bei Wahlen Mujibur Rahmans säkulare – und heute regierende – Amawi-Liga in Ostpakistan mit deutlichem Vorsprung gewann und ihre Sezessionspolitik gegenüber Islamabad verstärkte, griff die pakistanische Armee in den Machtkampf ein. 20 Millionen Menschen wurden in den Nordosten Indiens vertrieben, es kam zu Massenvergewaltigungen und Massakern an Zivilisten. Wie viele Menschen in dem neun Monate dauernden Krieg getötet wurden, ist bis heute strittig. Eine im "British Medical Journal" veröffentlichte Studie hielt im Jahr 2008 die Zahl von 269.000 Opfern für wahrscheinlich. Die Regierung in Dhaka, die von den Nachfolgern Mujibur Rahmans aus der Awami-Liga gestellt wird, geht von drei Millionen Toten aus und betrachtet jede Diskussion über Opferzahlen als Angriff auf Bangladeschs Souveränität.

"Razakar"

Erst eine indische Militärintervention zwang Pakistans Armee im Dezember 1971 zur Aufgabe. Das Urdu-Wort "Razakar" (Freiwilliger) galt im kurz darauf gegründeten Staat Bangladesch fortan als schlimme Schmähung. Gemeint waren damit propakistanische Milizen, darunter Studentenverbände der islamistischen Gruppe Jamaat-e-Islami, denen Kriegsverbrechen und Massaker an der Zivilbevölkerung zur Last gelegt werden.

Der Umgang mit ihnen geriet immer mehr zu einer Schlüsselfrage in der bangladeschischen Innenpolitik. 2008 wurde die Awami-Liga, deren Gründer Mujibur Rahman das Land bis zu seinem Sturz 1975 autoritär führte, wegen des Versprechens gewählt, ein Kriegsverbrechertribunal ins Leben zu rufen. Waren EU, UN und Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch anfangs voll des Lobes, änderte sich die Einschätzung des Westens rasch.

2011 kritisierte Human Rights Watch, dass die Regierung Verteidiger und Zeugen schikanieren lasse und das Gericht dazu nutze, Oppositionelle aus den Reihen der antisezessionistischen Bangladeschischen Nationalpartei und der Islamistengruppe Jamaat-e-Islami abzuurteilen – und oft Todesurteile zu verhängen.

Die Regierung weist die Kritik zurück, spricht von Wunden des Krieges, die geheilt werden müssten – und glaubt die Mehrheit des Volkes hinter sich. Nach dem Tod Nizamis jedenfalls strömten laut Medienberichten tausende Menschen zu dem Gefängnis, um die Hinrichtung des Islamisten zu feiern. (Florian Niederndorfer, 11.5.2016)