Um Unverträglichkeiten zu ermitteln, die etwa bei der Einnahme vieler verschiedener Medikamente entstehen können, hat das Salzburger Zentrum für Pharmakogenetik einen Gentest entwickelt. Dieser stellt zudem einen weiteren Schritt in Richtung personalisierter Medizin dar.

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Salzburg – Die empfohlene Einnahmedosis von Medikamenten orientiert sich an einem gesunden, 78 Kilogramm schweren und 178 Zentimeter großen Mann. Da der Großteil der Patienten und Patientinnen diesem männlichen Durchschnittswert nicht entspricht, sind Über- und Unterdosierungen keine Seltenheit. Dazu kommen genetisch bedingte Medikamentenunverträglichkeiten, die dem österreichischen Gesundheitssystem Kosten verursachen: Rund 900 Millionen Euro müssen jährlich für die Therapie von Arzneimittelnebenwirkungen aufgewendet werden.

"Zwei Drittel dieser Ausgaben könnte man durch einen konsequenten Einsatz der Pharmakogenetik einsparen", ist Markus Paulmichl, Vorstand des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg, überzeugt. Die Pharmakogenetik ermöglicht nämlich Prognosen über die Wirkung eines Arzneimittels auf den jeweiligen Patienten, indem sie seine am Stoffwechsel beteiligten Gene analysiert.

Erste pharmakogenetische Untersuchungen gab es bereits in den 1970ern, inzwischen hat sich vor allem im angloamerikanischen Raum viel in diesem Forschungsbereich getan. "Schließlich ist die Pharmakogenetik das Fundament einer personalisierten Medizin", sagt Paulmichl.

Auch am Zentrum für Pharmakogenetik und Pharmakogenomik an der PMU, das 2009 gegründet wurde, wird in diesem Bereich gearbeitet. Dort wurde unter der Leitung von Paulmichl nun ein neuer Gentest entwickelt, der mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen feststellt.

Die Ursache für solche unerwünschten Wirkungen sind meist genetische Defekte, durch die ein Medikament nicht wie vorgesehen im Körper abgebaut und ausgeschieden werden kann. "Medikamente sind körperfremde Substanzen, die der Organismus mithilfe von Enzymen wieder loszuwerden versucht", sagt der Pharmakogenetiker. "Schon die ersten Einzeller vor 500 Millionen Jahren hatten diese Enzyme zur Entgiftung."

Die meisten dieser Enzyme wirken bei mehreren Fremdsubstanzen, sie arbeiten also nicht sehr spezifisch. Durch das spezielle Design von Medikamenten kommt aber oft nur ein einziges Enzym bei deren Abbau zum Einsatz. Fällt dieses wegen eines genetischen Defekts bei einem Patienten aus, kann es zu massiven Problemen kommen. Das Medikament bleibt in zu hoher Dosis und zu lange im Körper.

Mit dem am Salzburger Zentrum entwickelten Gentest kann man nun feststellen, ob ein für den Abbau eines bestimmten Medikaments zuständiges Enzym defekt ist. Genetische Marker für jedes einzelne Medikament lassen erkennen, ob und in welcher Dosis dieses beim konkreten Patienten eingesetzt werden soll und welche der verschriebenen Arzneimittel nicht zusammenpassen.

Qualität noch mangelhaft

Warum diese hocheffiziente Analysemethode noch nicht flächendeckend implementiert wurde, habe mehrere Gründe, sagt Paulmichl. So sei etwa das Wissen über die Möglichkeiten der Pharmakogenetik noch nicht ausreichend verbreitet, die Kostenübernahme durch die Krankenkassen müsse erst ausverhandelt werden, und überdies sei die Qualität der zurzeit angebotenen Analytik zum Teil noch mangelhaft.

"Viele medizinische Labors kommen mit dieser komplexen Hightech-Methode, die sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt hat, noch nicht zurecht und wissen oft auch zu wenig über Genetik", so der Pharmakologe. Eine exakte Analyse ist aber Voraussetzung für die richtige Therapie. Um die Analysestandards anzuheben, arbeitet die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gegenwärtig an einer entsprechenden Richtlinie.

Paulmichl ist Vizevorstand der Arbeitsgruppe und kennt die Hindernisse auf dem Weg zur personalisierten Medizin im Detail. Und auch den Leidensdruck der Patienten: "Mittlerweile haben wir bereits über 700 Analysen für Betroffene durchgeführt, die sich in ihrer Verzweiflung an uns gewandt haben." Viele von ihnen müssen täglich bis zu 20 verschiedene Medikamente einnehmen, den Rekord hält ein Patient mit 37 Präparaten.

60 bis tausende Euro

Wie viel eine Genanalyse im Salzburger Labor kostet? "Das hängt von der Fragestellung des Arztes und der Anzahl der verschriebenen Medikamente ab", sagt Paulmichl. Je nach Komplexität der erforderlichen Untersuchungen reichen die Kosten von 60 bis zu mehreren Tausend Euro. Bei fünf verschriebenen Medikamenten kann man mit etwa 1800 Euro rechnen.

Die meisten Patienten mussten die Kosten selbst tragen, zum Teil wurden sie von den Versicherungen aber refundiert. Privatversicherungen zahlen die Analyse komplett, mit der Salzburger Gebietskrankenkasse befindet sich das Zentrum in vielversprechenden Verhandlungen.

Angesichts von nahezu einer Milliarde Euro, die das österreichische Gesundheitssystem jährlich für die Behandlung von Medikamentennebenwirkungen ausgeben muss, ist eine flächendeckende Kostenübernahme dieser Genanalysen eine Frage wirtschaftlicher Vernunft, meint Paulmichl: "Damit werden ja keine neuen Kosten kreiert, sondern die Ausgaben von der Behebung vermeidbarer Therapieschäden hin zu einer verbesserten Therapieplanung verschoben." Vor allem könnte man damit tausenden Patienten Leid ersparen. (Doris Griesser, 11.5.2016)