Der Philosoph Dieter Mersch (li.) und der Künstler Nikolaus Gansterer demonstrierten beim Festival "Philosophy on Stage", wie Philosophie und Kunst ineinandergreifen können.

Foto: AR 275-G21 "Artist-Philosophers" / Hochen Bichler

Wien – Was macht es mit dem Denken, wenn man den Philosophen von der gewohnten Rednerkanzel herunterholt und auf eine Theaterbühne stellt? Auf einmal wird man auf die Sprechweise und die Haltung der Person, aber auch auf Licht, Umgebung und Dresscode aufmerksam – der Körper kommt ins Spiel. Diese Übung, das Philosophieren aus der akademischen Komfortzone zu holen, unternimmt Arno Böhler seit mehr als zehn Jahren.

Viermal veranstaltete der Dozent für Philosophie an der Universität Wien, gemeinsam mit Susanne Valerie Granzer, Professorin am Max-Reinhardt-Seminar, das Festival "Philosophy on Stage", bei dem mit der Verbindung von Philosophie, Kunst und Wissenschaft experimentiert wurde. Bei einer internationalen Konferenz im Innovation Laboratory der Universität für angewandte Kunst in Wien wurden diese Bezüge vergangene Woche in einem klassischen akademischen Rahmen diskutiert.

Im Zentrum stand dabei das Konzept der Immanenz. Der Begriff, der eine lange Geschichte in der Philosophie hat, bedeutet, alles auf einer Ebene zu denken. Keine äußeren, sogenannte transzendente Entitäten – wie Gott oder eine objektive Wahrheit – geben dem Leben Form und Sinn, sondern das innere, immanente Wirken zwischen allen Lebensformen, Dingen und Ereignissen.

Schwindelgefühle

Laura Cull griff in ihrem Vortrag auf die Feststellung des Philosophen Gilles Deleuze zurück, die Immanenz löse Schwindelgefühle aus. Anders als beim Bergsteigen sind es nicht die Höhen und Tiefen der Philosophie, die diese Höhenangst auslösen. Das Leben als Ebene zu denken, wo alles stattfindet, das ist schwindelerregend.

Cull leitet das Zentrum für Performance-Philosophie in Surrey, England. In ihrer Forschung geht es ihr darum, weg von einer Philosophie der Performance, hin zu einer Philosophie zu gelangen, die schon in ihrer eigenen Praxis performative Züge hat.

Die nicht unumstrittene Feststellung, Nietzsche sei ein Vertreter der Immanenz, bekräftigte Andreas Urs Sommer, Philosophieprofessor an der Universität Freiburg. Auch wenn in Nietzsches Werk und Nachlass der Begriff keine wichtige Rolle spielt, verschreibe sich der Philosoph der Immanenz, mit seinem Plädoyer für die Diesseitigkeit, die das Schielen auf ein transzendentes Jenseitiges als Lebensfeindlichkeit entlarvt und verwirft.

Paulo de Assis, Pianist und Musikologe, der für sein aktuelles Projekt einen Starting Grant des European Research Council (ERC) erhielt, forscht am Orpheus Institute für musikalisch-künstlerische Forschung im belgischen Gent. Er lotet ein neues Vokabular für das Sprechen über Musizieren aus, das das Miteinander und die Prozesshaftigkeit zum Ausdruck bringt.

In dem Anliegen, die "körperlichen Vorbedingungen" für das philosophische Denken aufs Tapet zu bringen, wird Böhler vom Wissenschaftsfond FWF unterstützt, der sein inzwischen drittes Projekt finanziert. Das im Rahmen des Programms zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) laufende Projekt trägt den Titel: "Artist Philosophers. Philosophy AS Arts-Based-Research" und stellt das philosophische und künstlerische Werk von Friedrich Nietzsche in den Mittelpunkt.

Böhler versteht Nietzsche als "Künstlerphilosoph", das heißt, "er denkt wie Künstler und ist sich der konkreten materiellen Bedingungen bewusst, aus denen seine Konzepte entspringen". Nietzsche hat, so die Hauptthese des Forschungsprojektes, die Böhler bei der Konferenz präsentierte, ein gänzlich neues Denkbild erschaffen, als er gegen den Asketismus und die Körperfeindlichkeit seiner Zeit anschrieb.

Rebellen in der Academia

Die Immanenzphilosophie ist für das Denken der Körperlichkeit deshalb so wichtig, weil sie keine scharfe Trennlinie zwischen einer Ideensphäre und einer materiellen Welt zieht. Der Körper des Philosophen hat darin ebenso seinen Platz und seine Weisheit, wie sein Hirn und seine Einfälle.

Elisabeth Schäfer, die die Postdoc-Stelle in Böhlers FWF-Projekt innehat, demonstrierte in ihrem Vortrag, wie auch im Rahmen des Konferenzformats künstlerisch philosophiert werden kann. Sie näherte sich dem Konzept der Immanenz über eine Reflektion ihres eigenen Schreibens. Die klassische Argumentationsstruktur eines Papers verlassend, brachte sie philosophisches und literarisches Schreiben in Dialog, ohne der begrifflichen Genauigkeit, die philosophische Auseinandersetzung verlangt, untreu zu werden.

Trotz renommierter Förderungen wie durch den ERC oder FWF haben Böhler und seine Kollegen in der Academia einen gewissen Status als Rebellen oder zumindest Exoten. "Solange man das Fleischliche und den Körper nicht verleugnet, hat man keinen Platz in der akademischen Philosophie", sagt Böhler.

Dabei habe bereits Nietzsche darauf hingewiesen, dass den Philosophen mehr seine Triebe als die Vernunft steuerten. Er nannte sein Werk Also sprach Zarathustra ein Musikstück und schreckte nicht davor zurück, die Wahrheit als brüchig zu entlarven. "Warum darf Nietzsche all das, was wir als Nietzsche-Forscher nicht dürfen, wenn wir uns nicht lächerlich machen wollen?", so Böhler. "Wie kann man andere Formen des Philosophierens entwickeln als die priesterliche Geste des Predigens von der Kanzel?", fragte Böhler und zeigte selbstkritisch auf das Rednerpult, das auch bei dieser Konferenz nicht fehlte. (Julia Grillmayr, 15.5.2016)