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Nicht nur das Verhalten, auch der Geschmack wird sozial erlernt, sind sich Wissenschafter einig. Es muss ja nicht jeden Tag Truthahn sein.

Foto: Corbis / ClassicStock / H. Armstrong Roberts

Messer und Gabel, fein gefaltete Servietten, vielleicht ein rot-weiß kariertes Tischtuch, darauf die Teller. In der Mitte des Tisches dampft die Pasta asciutta aus einer Schüssel. Der Salat ist angerichtet. Wein plätschert in die Gläser. Auch Wasser.

Hurtig strömen die hungrigen Mäuler an die Tafel. Pünktlich zu Mittag, Groß und Klein. Der Brotkorb wird gereicht, das eine oder andere erzählt. Heiteres und weniger Erbauliches. Egal, man tauscht sich aus. Man isst und schwätzt, wie einst bei der Mammutsuppe am Lagerfeuer.

Das Bild könnte eine Szene aus der TV-Serie "Die Waltons" sein, in der sich von Grandma bis zum Nesthäkchen alle wie nach einem Gong zum Essen an einen großen Holztisch begeben. Sehen wir vom Wein ab, den gab's bei den Waltons eher selten. Dafür ein Gebet. Jeder, wie er mag.

Pizza aus der Mikrowelle

Am anderen Ende der Fahnenstange: der weitverbreitete, zeitgenössische Singlehaushalt: Haustür zu, Gefrierfach auf, Pizza raus, rein in die Mikrowelle und angestellt der Fernseher. Esstisch? Gibt's nicht. Auch kein Gegenüber, dem man seine Blicke widmen könnte, von ausgetauschten Gedanken ganz zu schweigen.

Nichts gegen Ruhe bei der Mahlzeit, auch eine Pizza vor der Glotze kann was Feines sein. Aber: Der Grund für gemeinsames Essen ist weitaus triftiger, als man glaubt, und geht weit hinaus über bloße Nahrungsaufnahme oder die lifestylige Kuratierung einer boboesken Tafel für ein Festessen.

Gemeinsam essen war einst eine fast selbstverständliche, soziale Bastion, die es heute immer schwerer hat, was dem Zeitgeist und so manchem Smartphone-Tablet geschuldet ist. Dabei gilt es diese Bastion zu halten, denn sie ist im übertragenen Sinn eine Art wohlige, gemeinsame Höhle, die mit verschiedenen Qualitäten befüllbar ist. Qualitäten in puncto Genuss, Nähe und Austausch.

Gemeinsam zu essen ist ein Ausdruck von geteilter Lebensfreude, vielleicht auch von geteiltem Leid, es ist ein kleines Fest zwischen oder nach den Mühen des Tages. Etwas, das Verbindung stiftet.

Übrigens: Schon 1822 erlaubte der Historiker Carl Friedrich Rumohr in seinem Werk "Im Geiste der Kochkunst", dass Kinder während der Mahlzeit so viel reden dürfen, wie sie wollen, solange sie damit den Eltern nicht auf den Geist gehen. Wann sonst außer beim gemeinsamen Abendessen ist die Gelegenheit günstiger, zu beichten, dass man in Mathe einen Fleck kassiert hat oder einen sonst wo der Schuh drückt?

Intimität schaffen

Vertrautheit schafft beim gemeinsamen Essen nicht nur der intime Kreis der Familie oder von Freunden, sondern auch Dinge wie Lieblingsspeisen, die gewohnte Umgebung (Stichwort Eckbank) oder Riten wie der abschließende Kaffee.

Aus dem Teilen von Tisch und Nahrung resultiert Intimität. Man setzt sich schließlich nicht mit jedermann oder jederfrau an einen Tisch und lässt schon gar nicht jeden von seinem Schnitzi kosten. Und wie heißt es weiter? Essen sei der Sex des Alters.

Nachgefragt beim Philosophen Robert Pfaller setzt dieser in Sachen soziale Bindungen durch gemeinsames Essen noch eines drauf: "Die zentralen Riten – nicht nur von Stammesgesellschaften – waren einst rund um das gemeinsame Einnehmen von mitunter tabuisierten Speisen (wie im Fall der Totenmahlzeiten) angeordnet. Auch heute ist manches davon, wenigstens in Spuren, noch erlebbar – zum Beispiel im Falle davon, dass erotische Beziehungen kaum anders als durch gemeinsames Essen eingeleitet werden können. Solidaritäten verschiedenster Art scheinen darauf gegründet, dass man dasselbe zu sich genommen hat."

Zusammengehören übers gemeinsame Essen

Zusammen essen schafft es, auch außerhalb der eigenen vier Küchenwände Privatheit und zumindest kurzfristig eine Art von Zusammengehörigkeitsbewusstsein zu schaffen. Ein Faktum, das auch bei Geschäftsessen immer wieder zum Tragen kommt. Dabei hat diese Art von Zusammenkommen stärkere historische Wurzeln, als man glaubt. Es geht dabei mitnichten nur um die sinnvolle Nutzung von Esszeiten für berufliche Zwecke in einer hektischen Zeit.

Historiker lassen uns wissen, dass Menschen bis ins 11. Jahrhundert Verträge abschlossen, indem sie miteinander schnabulierten. Statt einen Vertrag zu unterschreiben, galt es, brav den Schnabel aufzumachen und zuzubeißen. Dies galt fürs Big Business am Hofe ebenso wie für das Verschachern einer Kuh zwischen zwei Bauern. Der symbolhafte Charakter des Geschäftsessens hat also einen plausiblen historischen Hintergrund und bewerkstelligt auch bei dieser Gelegenheit eine Verbindung zwischen Menschen.

Wirtshaustisch

Dass sich auch die Spitzengastronomie vermehrt mit dem Phänomen des Gemeinsamen beschäftigt, ist am Trend zu großen Gemeinschaftstischen abzulesen, die es in dieser Form über lange Zeit nur in der Kantine oder beim Heurigen gab.

Handelt es sich dabei um eine Modeerscheinung, liegt es am Zwang, wieder einmal etwas Neues zu machen, oder will man sich gerade im gehobenen Bereich trotz Berührungsängsten vor fremden Tischnachbarn vom bürgerlich-konservativen Mäntelchen befreien?

Der Elsässer Martin Klein, Executive Chef des Restaurants Ikarus im Salzburger Hangar-7, hat diesen Trend ebenfalls wahrgenommen, steht ihm allerdings zwiegespalten gegenüber: "Wenn ich beruflich allein unterwegs bin und mich, sagen wir in Singapur, an einen solchen Gemeinschaftstisch setze, finde ich das wunderbar. Ich erfahre etwas von anderen und über andere Menschen, zum Beispiel, warum sie in Singapur sind. Komme ich von so einer Reise nach Hause und gehe mit meiner Frau in ein Restaurant, will ich gefälligst meine Ruhe haben."

Kurzum: Gemeinsames Essen ist und soll etwas bleiben, das nicht nur die Labung unterhaltsamer gestaltet und einen bestimmten Zeitpunkt des Tages markiert.

Gemeinsames Essen ist Innehalten in einer rastlosen Zeit, ein Geschenk an sich selbst und andere. Also Hände weg vom Smartphone und Tablet, wenn die Suppe auf den Tisch kommt. Schnabel auf! Augen auf! Ohren auf! (Michael Hausenblas, RONDO, 16.5.2016)