Ex-Innenminister Caspar Einem: "Die SPÖ hat jetzt dringendere Sorgen, als sich der Freiheitlichen Partei an den Hals zu werfen."

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STANDARD: Wie haben Sie Werner Faymanns Abgang aufgenommen?

Einem: Ich war sehr überrascht. Aber sein Rücktritt eröffnet der SPÖ die Möglichkeit für einen Neustart – und der ist wohl eine Notwendigkeit.

STANDARD: Namhafte Genossen wie Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl wollen sich bei diesem Neustart der FPÖ annähern: Die SPÖ solle sich die Möglichkeit einer rot-blauen Koalition offenhalten. Sehen Sie das auch so?

Einem: Ich glaube, dass die SPÖ jetzt dringendere Sorgen hat, als sich der Freiheitlichen Partei an den Hals zu werfen. Parteien aus dem Spektrum der Mitte, wie bei uns ÖVP und SPÖ oder in Deutschland CDU und SPD, sind gut beraten, sich nicht nach rechts zu orientieren. Bis jetzt zeigen alle Beispiele, dass diese Öffnung dazu führt, dass die wirklichen Rechtsparteien gewinnen. Das ist einfach diese Schmied-Schmiedl-Geschichte: Wer gegen Flüchtlinge und für nationale Abschottung ist, wird sich in Österreich immer bei der FPÖ zu Hause fühlen.

STANDARD: Was ist die Alternative?

Einem: Der Versuch, die Bevölkerung für einen anderen Weg zu gewinnen – auch wenn es dabei Gegenwind gibt. Dass dies funktionieren kann, zeigen wunderbare Beispiele in einigen Gemeinden: Dort, wo sich ein Bürgermeister an die Spitze gesetzt hat und für die Aufnahme von Flüchtlingen eingetreten ist, hat er die Zustimmung der Bevölkerung gewonnen und – sofern es welche gegeben hat – auch die Wahlen. Es gibt eine Wahl des Verhaltens in der Politik: Man kann entweder vorwärts gehen oder rückwärts gehen. Die SPÖ hat dabei in letzter Zeit die Orientierung verloren.

STANDARD: Sie meinen, die SPÖ hat die inhaltlichen Positionen der Freiheitlichen übernommen?

Einem: Die SPÖ ist den Freiheitlichen jedenfalls nähergekommen.

STANDARD: Die Möglichkeit einer Koalition muss ja nicht automatisch eine Annäherung in der Politik bedeuten – oder?

Einem: Die inhaltliche Annäherung findet ja schon statt. Beim Landeshauptmann Niessl war es so, dass bei seiner Politik auch vor seinem Pakt mit der FPÖ nicht so gut unterscheidbar war, ob sie nun blau oder rot ist – da war der Schritt zur Koalition nicht mehr so groß. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass er irgendwelche Prinzipien aufstellt, die maßgebend sein sollen, ob man mit den Freiheitlichen gemeinsame Sache macht oder nicht. Es zählt die politische Opportunität – doch Opportunität ist mitunter auch Opportunismus. Dann geht es nur mehr darum, den Partner zu wählen, mit dem es am leichtesten geht.

STANDARD: Es gibt einen Parteitagsbeschluss, der eine Koalition mit der FPÖ ausschließt. Die Kritiker fordern, diese Entscheidung auf allen Ebenen freizugeben.

Einem: Da muss man sich schon auch fragen, ob die SPÖ noch eine Partei sein will oder ob sie auf jeder Ebene ein Wahlverein von irgendwem sein will. Das ist ein Unterschied. Ich denke, die SPÖ sollte sich einen gemeinsamen Charakter bewahren, und die Forderung, sich endlich den Freiheitlichen zu öffnen, stellt den bisherigen Charakter der Partei infrage.

STANDARD: Wie sollte die SPÖ stattdessen vorgehen?

Einem: Wenn es eine pragmatische Antwort braucht, weil nach der Wahl 2018 eine Koalition ohne Freiheitliche aller Voraussicht nach schwer möglich sein wird, dann müssen sich die Sozialdemokraten zuerst klarwerden, wer sie selbst sind und wofür sie stehen. Diese Haltungen muss die SPÖ dann zur Bedingung für eine mögliche Koalition machen.

STANDARD: Welche Bedingungen müssen das aus Ihrer Sicht sein?

Einem: Das ergibt sich aus dem Parteiprogramm. Der zentrale Punkt der sozialdemokratischen Positionierung ist die Würde des Menschen. Wenn die Menschenrechte infrage gestellt werden, Stimmungsmache gegen einzelne Minderheiten, ob das jetzt Flüchtlinge oder andere Zuwanderer sind, betrieben wird, kann die FPÖ für die SPÖ kein Partner sein. Das ist auch der Kern der Regel, die Bundeskanzler Franz Vranitzky einst aufgestellt hat. Nur müssen unsere Funktionäre den Mitgliedern und Wählern diese Gründe auch verständlich machen. Das ist verlorengegangen, deshalb verstehen viele Menschen das Nein zur FPÖ heute nicht mehr.

STANDARD: Was, wenn die FPÖ nach der nächsten Wahl in eine Präambel schreibt, sie sei für das Gute und das Schöne – ist dann alles vergessen?

Einem: Es muss auch am Verhalten nachweisbar sein. Eine Präambel allein reicht nicht.

STANDARD: Haben sich die Freiheitlichen seit Vranitzkys Zeiten in den entscheidenden Fragen geändert?

Einem: Nicht grundlegend. Für eine menschenverachtende, minderheitenfeindliche und populistische Politik dürfen sich Sozialdemokraten nicht hergeben. Wenn die Konsequenz aus den Wahlniederlagen nun sein soll, sich für die Freiheitlichen billiger zu machen, dann hat die SPÖ nichts verstanden. (Gerald John, 10.5.2016)