Wien – Kampflos ist Werner Faymann wirklich nicht gegangen. Im Gegenteil, zuletzt vermochten seine Getreuen zumindest nach außen den Eindruck zu erwecken, dass sich der politische Überlebenskünstler noch einmal im Sattel halten könne. Doch seit Montag ist klar, dass dem nicht so ist. Selbst im Abgang ließ Faymann wissen: Die Mehrheit der Partei habe er. Der Rückhalt aber sei ihm zu gering geworden.

Das hat man wohl spätestens am 1. Mai gehört, als Werner Faymann beim sozialdemokratischen Hochamt auf dem Wiener Rathausplatz ausgepfiffen und -gebuht wurde. Schon seit der Wahlschlappe des roten Hofburg-Kandidaten Rudolf Hundstorfer war der SPÖ-Chef deutlich geschwächt.

Enge Vertraute

Besonders beliebt war der Kanzler genau genommen nie. Schon in der Kommunalpolitik, die ihn als langjährigen Wohnbau-Stadtrat groß machte, hatte der vormalige Chef der Sozialistischen Jugend Wien nur ein Grüpplein an Vertrauten, auch in den Boulevardmedien, mit deren Hilfe er nach oben kletterte. Das änderte sich auch mit Faymanns Ankunft im Bund nicht. Nur jene, denen er bedingungslos vertraute – an erster Stelle Kanzleramtsminister Josef Ostermayer und Nationalratspräsidentin Doris Bures –, durften mitreden. Kritische Geister waren in Faymanns Umfeld nicht erwünscht, sondern allenfalls, wenn nicht zu vermeiden, geduldet.

Dass er sich dennoch zwölf Jahre in der Wiener Stadtregierung hielt und ein Jahrzehnt in der Bundesregierung verweilte, hatte mit seinem taktischen Geschick zu tun. Im persönlichen Umgang blieb er stets freundlich und aufmerksam, eckte möglichst nirgendwo an und ging so über viele Jahre als kleinster gemeinsamer Nenner durch. Dazu kam, dass die SPÖ zwar unter seinem Vorsitz Wahlniederlage an Wahlniederlage reihte, es Faymann jedoch dort, wo er selbst antrat – nämlich bei den Nationalratswahlen –, gelang, Platz eins und in Folge die Kanzlerschaft zu retten.

Niedrige Zustimmung bei Parteitagen

Damit lieferte der gerade 56 Jahre alt gewordene Wiener nie einen unmittelbaren Anlass, ihn aus dem Amt zu jagen. Dass er nicht Parteichef der Herzen war, machte die Basis anderweitig klar. Seine letzten beiden Parteitagsergebnisse waren mit 83 bzw. 84 Prozent alles andere als berauschend.

Dies hing auch ein wenig damit zusammen, dass Faymann kein großer, einnehmender Redner ist. Schlechte Stimmung mit berauschenden Parteitagsansprachen aufzuhellen war seine Gabe nicht. Auch gab es inhaltlich keinen Kurs, den man Faymann wirklich zugeschrieben hätte. Vielmehr fuhr er seit jeher jene Agenda, die parteitaktisch gerade opportun zu sein schien. Vor allem das Wort der Gewerkschaft, ohne die in der SPÖ bis heute wenig geht, fand bei Faymann so gut wie immer Gehör.

Seine Flexibilität bewies der Kanzler erst jüngst in der Flüchtlingsfrage. Ließ er sich zu Anfang des Stroms im September noch bei einem kleinen Parteitag als "Kommandozentrale der Menschlichkeit" feiern und eine Allianz mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel eingehen, mutierte er dann später ganz im Gegensatz dazu zum strengen Kontrollor und Gegner der Berliner Politik der offenen Grenzen.

Pfiffe auf dem Rathausplatz

Zwar war diese Position dann eine, die dem Großteil der Bevölkerung und auch der eigenen Partei gar nicht schlecht gefiel, doch brachte sie ihm beim Mai-Aufmarsch gellende Pfiffe des ohnehin Faymann-kritischen linken Parteiflügels ein und befeuerte somit die Debatte, ob mit dem Kanzler als SPÖ-Chef noch Staat zu machen sei. Da nützte es Faymann wenig, dass er sich seit Amtsantritt als Bollwerk gegen Rot-Blau inszeniert hatte – umso mehr, als er diese Doktrin, siehe Burgenland, in der eigenen Partei ohnehin nicht durchsetzen konnte.

So schlecht war die Stimmung jedenfalls nicht mehr seit den letzten Tagen von Alfred Gusenbauer an der SPÖ-Spitze im Jahr 2008, als Faymann schon in den Startlöchern gescharrt hatte. Damals hatte dieser sich übrigens mit einem EU-kritischen Leserbrief an die "Krone" hervorgetan – später wurde er jedoch glaubwürdig begeisterter Europäer und verbrachte seine Zeit wohl lieber im Brüsseler Rat als in den eigenen Parteigremien.

In der Partei wurde dem Vater von zwei Töchtern und Ehemann der Wiener Gemeinderätin Martina Faymann-Ludwig der Rückhalt schließlich zu gering. Am Montag zog er daraus die Konsequenz und trat als Parteivorsitzender und Bundeskanzler zurück. (APA, 9.5.2016)