Stefan Wieland, Hans Dieter Knebel, Markus Meyer, Peter Simonischek und Andrea Wenzl (v. li.) in "Der Diener zweier Herren".

Foto: Reinhard Maximilian Werner

"Kunst für Kohle" ist der Gründungsmythos der Recklinghausener Festspiele. Weil sie im kalten Nachkriegswinter 1946 mit Kohlelieferungen die Hamburger Staatstheater vor der Schließung bewahrten, revanchierten sich die Hamburger mit Gastspielen im Sommer bei den Kohlekumpels. Im Jubiläumsjahr war nun das Wiener Burgtheater zur Eröffnung eingeladen. Hamburger und Leipziger Schauspielhaus, das Deutsche Theater und die Volksbühne Berlin werden folgen, und Claus Peymann wird einen Festvortrag halten.

Der Strukturwandel im Ruhrgebiet hat sich in den 70 Jahren seither natürlich bemerkbar gemacht, doch nach wie vor trägt der Deutsche Gewerkschaftsbund zu 50 Prozent die Festspiele, und so sind Anspielungen in Goldonis Komödie "Der Diener zweier Herren" auf Tarifverträge und Lohnerhöhungen in Recklinghausen also durchaus an der rechten Stelle. Sonst freilich halten sich in Christian Stückls Burgtheater-Inszenierung politische Extempores ganz im Hintergrund, obwohl die Festspiele mit ihrem Motto "Mare nostrum" in mehreren Uraufführungen thematisieren, wie weit das Mittelmeer "unser" Meer ist – vor allem vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise.

Anklänge an Fellini-Film

Bei Goldoni ist die Mittelmeerregion eher Urlaubsziel. Die Bühne (Stefan Hageneier) zeigt ein gediegenes, ein wenig altmodisches mediterranes Café mit großen Fenstern und Türen, nein: eigentlich zwei Cafés! Denn die Drehbühne zeigt immer wieder ein fast identisches Café-Double hinter der Rückwand – zwischen beiden muss der Diener zweier Herren hin- und herwirbeln. Dabei scheint man fast in einen Fellini-Film geraten zu sein – Barmusik und Filmmusik (Musik: Tom Wörndl) klingen, fast melancholisch, immer wieder auf. Und der Wirt Brighella – beeindruckend in seiner stillen Souveränität Hans Dieter Knebel – sieht dabei zu, dass es in seinem Lokal besser nicht zu einem größeren Skandal kommt.

Goldonis frühe Komödie steht literaturgeschichtlich auf der Kippe – einerseits noch ganz den derben stehenden Kasper-Typen der Commedia dell'Arte verhaftet, andererseits aber vom Ehrgeiz angetrieben, diese zu reformieren und realistische glaubhafte Figuren darzustellen. Für einen Regisseur ist dies oft eine Gratwanderung zwischen allzu banalem infantilem Witz oder langweiliger Pädagogisierung. Christian Stückl bedient durchaus die klamaukigen derben Lazzi, lässt die Figuren überdrehen und hysterisch agieren, und das Burgtheater, insbesondere der akrobatische Markus Meyer als Diener Truffladino, ist ja durch Herbst Fritschs Inszenierung von Molières "Eingebildeten Kranken" schon gut darauf trainiert und spezialisiert.

Es ist genüsslich und unappetitlich zugleich, wenn Truffaldino an Tischplatten angeklebte Kaugummireste abkratzt, sie zurechtkaut, um dann einen geöffneten Brief neu damit zu versiegeln. Meyer erinnert dabei aber auch insbesondere beim Auftischen an Charlie Chaplin als Kellner in "Moderne Zeiten". Und so gewinnt man trotz oder gerade wegen ihrer Schwächen die Figuren geradezu lieb. In der Kleidung gibt es keine Standesunterschiede – Herr und Diener stecken in den gleichen braunen Anzügen, wobei Sebastian Wendelin als Florindo auch an Slapstick-Komik Truffaldino kaum nachsteht. Doch auch der bebrillte schlanke Oberkellner Luigi (Stefan Wieland) wirkt fast wie ein verkappter Intellektueller.

Ruinöse familiäre Transaktionen

Wie lebensgefährlich und mafiös es im Kaffeehaus rund um nicht gedeckte Wechsel und ruinöse familiäre Transaktionen unentwegt zugeht, spart Stückls Bearbeitung nicht aus. Zwar wird nicht wie bei Goldoni geprügelt, aber ständig gehen Schüsse aus den Pistolen los, auch wenn letztendlich nur Glasscheiben splittern. Eine der Hauptfiguren, der Liebhaber Florindo, ist schließlich ein Mörder, und ein Mord löst die Komödie auch aus: Stückl führt das zu Beginn in einer stummen Szene vor.

Am eindrucksvollsten und mit Szenenapplaus belohnt zeigt Mavie Hörbiger als Kindermädchen Smeraldina eine Mischung zwischen Klischee und psychologischer Genauigkeit: mit sehr langen dunklen Haaren und tiefer resoluter Stimme, verschreckt und dann wieder eine resolute Feministin, die "allen Ehebrechern die Schwänze abschneiden" will. Peter Simonischek zeigt lächelnd unter dem Schnäuzer seine Zähne, gutmütig und doch auch skrupellos, während ihn Johann Adam Oest nicht zu Wort kommen lassen will: Pantalone und Dottore. Und Andrea Wenzel stürzt sich mit verrutschender Hose resolut in die Männerrolle. Ein großes Schauspielervergnügen, für das man sich im Ruhrpott sehr dankbar zeigte. (Bernhard Doppler, 4.5.2016)