Auf die Idee muss man einmal kommen: eine Partei, die schwer angeschlagen ist und innerlich zerstritten, sagt: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, uns an die Partei anzubiedern, die uns einen Großteil der Wähler weggenommen hat.

Weit ist es gekommen mit der großen Sozialdemokratie. Sie ist im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Industrialisierung entstanden und hat seither in Europa nach wildem Kampf gewaltige Erfolge erzielt. Sozialdemokratie heißt: gerechte Löhne und gute Arbeitsbedingungen, soziale Absicherung, aber auch Bildung für die weniger Gebildeten, Emanzipation der Frauen und last, but not least geistige, künstlerische Freiheit.

Ein Lob der Sozialdemokratie: Das war/ist eine der größten politischen und gesellschaftlichen Leistungen der letzten 150 bis 180 Jahre. Aber die Sozialdemokratie ist, nicht nur in Österreich, recht weit vom Weg abgekommen. Das liegt weitgehend an geänderten Verhältnissen – Globalisierung, Turbokapitalismus, technologischer Fortschritt –, aber auch am Unwillen der sozialdemokratischen Führung, sich damit auseinanderzusetzen. Die heutige Sozialdemokratie weiß nicht nur nicht, wie sie mit der neuen Arbeiterpartei FPÖ und deren kruden, katastrophalen Rezepten umgehen soll. Sie weiß nicht, wie sie mit der neuen Zeit umgehen soll. Wie sie wieder für das Wohl der Arbeitnehmer sorgen kann.

Das weiß fast niemand, aber die jetzige SPÖ- und Gewerkschaftsführung ermuntert auch keine Denkarbeit und keine Debatten darüber. Sehr einfach dargestellt: Die Faymanns und Foglars haben es, mit Beratung durch Experten wie den nun scheidenden AK-Direktor Werner Muhm, aufgegeben, nach Wegen zu neuem Wirtschaftswachstum zu suchen, das dann verteilt werden kann. Stattdessen versuchen sie seit Jahren, den Besserverdienern und Wohlhabenderen etwas wegzunehmen, um einen teilweise sehr kostspieligen Sozialstaat weiterfinanzieren zu können. Umverteilung an sich ist nichts Schlechtes. Österreich gehört zu den Staaten mit der größten Umverteilung bei den Einkommen.

Aber erstens sind die riesigen Kosten des Sozialstaats nicht mit ein paar Millionärssteuern zu finanzieren. Und zweitens fällt Österreich bei fast allen Wirtschaftsdaten und Standortvergleichen seit Jahren zurück. Unter Unternehmern und Selbstständigen herrscht Frust und Investitionsunlust. Das hat auch etwas damit zu tun, dass Kanzler Faymann und ein Großteil der jetzigen SP-Führungscrew keine innere Beziehung zur Wirtschaft haben. Sie wissen nicht, was ein Unternehmen ist. Faymann geht einem Gedankenaustausch mit Industriellen aus dem Weg.

Die SPÖ hatte einmal einen intellektuellen Flügel. Ihre Führungsfiguren beschäftigten sich gedanklich mit dem weltwirtschaftlichen Wandel. Der Letzte war übrigens Gusenbauer, wie immer man ihn sonst einschätzt. Wenn die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften wieder Fuß fassen wollen, dann brauchen sie Führungspersonal, das sozial, aber unbedingt auch ökonomisch denkt. (Hans Rauscher, 3.5.2016)