Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff will nicht aufgeben und ihr Amt nicht jenen überlassen, die den Weg zur Macht abkürzen wollen.

Foto: AFP / Christophe Simon

Verrat – das ist für Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff die schlimmste Anschuldigung, die es gibt. Während der Militärdiktatur wurde sie gefoltert, gab aber keine Namen preis. Die Verachtung steht der ehemaligen Guerillera ins Gesicht geschrieben, als sie ihren ehemaligen Vize Michel Temer des "Verrats" und der "Verschwörung" gegen sie bezichtigt.

Nach der verlorenen Abstimmung im Abgeordnetenhaus über ihre Amtsenthebung geht Rousseff mit ihren Gegnern scharf ins Gericht – sogar auf internationaler Bühne. Für manche mögen es bloß die letzten verzweifelten Kämpfe einer unpopulären Staatschefin sein, die in wenigen Wochen aus dem Präsidentenpalast gejagt werden wird – doch es ist mehr.

In den vergangenen Tagen trat die 68-Jährige nicht als Verliererin, sondern als leidenschaftliche Kämpferin vor die Kameras. "Ich werde kämpfen – nicht nur für mein Mandat: Nein, weil ich die demokratischen Prinzipien verteidige", versichert Rousseff in einem Interview mit der CNN-Korrespondentin Christiane Amanpour. Sie werde nicht einfach denjenigen die Präsidentschaft überlassen, die "den Weg an die Macht abkürzen wollen".

Die Anschuldigungen gegen Rousseff stehen juristisch auf wackligen Füßen. Ihr werden Haushaltstricks vorgeworfen. Trotzdem wird sie aller Voraussicht nach für die Dauer von höchstens 180 Tagen suspendiert. Für Mitte Mai ist die Senatsabstimmung über die Amtsenthebung geplant.

Dann übernimmt Temer von der rechtsliberalen PMDB. Der 75-Jährige ist selbst sehr unpopulär: Nur zwei Prozent der Brasilianer würden ihn einer Umfrage zufolge wählen. Gegen ihn läuft auch eine Untersuchung, die ihn in Verbindung mit einem riesigen Bestechungsskandal bringt.

"Der kleine Computer"

Rousseff musste sich immer den Vorwurf gefallen lassen, zu technokratisch und nicht volksnah genug zu sein. Selbst ihr Ziehvater und Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva verspottetet sie als "computerzinho": als "kleinen Computer", der alle Fakten parat hat, aber wenige Emotionen zeigt.

Erstaunlich offen präsentiert sie sich jetzt der Öffentlichkeit. "Es wurde oft gesagt, dass ich eine schroffe Frau bin, umgeben von lauter freundlichen, höflichen und liebenswerten Männern", sagt sie ironisch in dem CNN-Gespräch. "Nur Frauen werden so beschrieben, wenn sie eine Position einnehmen."

In den konservativen Medien läuft schon seit langem eine Schmutzkampagne gegen Rousseff, was selbst neutrale Beobachter zugeben. Große Medienunternehmen wie jenes hinter O Globo haben alles darangesetzt, Rousseff in Verbindung mit Korruption zu bringen. Andere Medien positionieren sich, getragen von Halbwahrheiten und Gerüchten, offen für eine Amtsenthebung.

Ins Bild passt ein jüngst veröffentlichter Beitrag des Magazins Istoé, in dem Rousseff als cholerisch beschrieben wird, sie drangsaliere Mitarbeiter und werfe in ihrem Büro auch schon einmal mit Möbeln um sich. Brasiliens größte Zeitschrift Veja zog nach und porträtierte wohlwollend die künftige First Lady, Marcella Temer, 43 Jahre jünger als ihr Ehemann und ehemaliges Model. "Schön, sittsam und Hausfrau", lautete die Überschrift. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 30.4.2016)