Ta-Nehisi Coates, 1975 geboren, US-Essayist der Stunde und engagierter Journalist.

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Ta-Nehisi Coates
Zwischen mir und der Welt
Hanser 2016
240 Seiten, 20,50 Euro

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Von der Angst ist in diesen Tagen wieder viel die Rede. Die Angst ist aber nicht für jeden gleich groß und gleichermaßen berechtigt. Die eigene Position und die Umwelt sind wesentliche Faktoren. In seinem Essay Zwischen mir und der Welt beschreibt Ta-Nehisi Coates die Angst als ständigen Begleiter seit der Kindheit. Diffus ist sie keineswegs. Das Gesetz der Straße hat Coates' Identität, sein Verhältnis zur Welt mitgeformt. Ein Schuss an einem beliebigen Tag hätte genügt. Deshalb kann die Angst ihn überall überkommen, selbst wenn er als Erwachsener erstmals nach Paris gelangt: einer Stadt, für die eigentlich andere Regeln gelten.

Coates, Journalist bei The Atlantic und einer der intellektuellen Shootingstars der USA, wuchs in einem Viertel von West-Baltimore auf, das durch seine hohe Kriminalitätsrate berüchtigt ist – man hat es aus der TV-Serie The Wire noch in Erinnerung. In seinem mit dem National Book Award prämierten Buch wendet er sich an seinen 15-jährigen Sohn Samori, der schon geschützter, offener und freiherziger aufwachsen konnte. Das bedeutet auch, dass er vom Rassismus gegen Schwarze weniger behelligt schien. Umso betroffener reagierte er darauf, dass der Mörder des Jugendlichen Michael Brown 2014 nicht vor Gericht gestellt wurde.

Die Polizeigewalt gegen Schwarze ist in den USA seitdem nicht abgerissen. Coates' Pamphlet reicht über diese spezifischen Fälle hinaus, weil es die Grundlagen hervorheben will. Es ist persönlicher und zugleich universeller, ein auch literarischer Akt. Mit welchem Selbstverständnis ist man gegenwärtig ein schwarzer Mensch, lautet seine Frage. Eine entscheidende Stellung bei der Antwort nimmt der Körper ein, den Coates als ständig bedrohten begreift – entgegen dem Mythos der Popkultur, er sei stark und mächtig. In Wahrheit ist der Körper fragil und schnell gestohlen, und wenn man schwarz ist, drohen den Tätern selten Konsequenzen. Ein besonders tragisches Beispiel war Prince Jones, ein Studienfreund von Coates, der mit 16 Kugeln niedergestreckt wurde.

Coates macht deutlich, dass die Ursachen in einer Ideologie liegen und klar zu benennen sind: Der Rassismus der amerikanischen Gesellschaft ist umfassend und gewollt. Er reicht nicht nur weit in die Geschichte der Sklaverei auf den Baumwollplantagen der Südstaaten zurück, er hat die Erfolgsgeschichte der sich gern frei rühmenden Demokratie auch mitermöglicht. Im zweiten Teil des Buches sind einige von Coates' journalistischen Texten nachzulesen, die auf die Notwendigkeit von Reparationen abzielen. Der Waren- und Tauschwert von Sklaven, die Benachteiligung nach ihrer Befreiung etwa im Immobilienbereich dienen ihm als Argumente.

Man kann daran sehen, wie tief Coates ins Innerste der amerikanischen Mythologie zielt, auf die Träume, die nie für alle gleichermaßen galten. "Der Mythos dieses Landes läuft deiner Identität zuwider", mahnt er seinen Sohn. Ein großer Teil des Textes behandelt den eigenen Werdegang. Das andere Erbe, wenn man so will, ein auch sinnlich erfüllter Pfad, eine Suche nach Vorbildern, mit denen man den Blick schärfen, das Wissen vergrößern kann. Coates' lyrisch-schwärmerische Sprache nimmt einen schwungvoll bei der Hand, von Malcolm X bis zum "Mekka" der Howard University, wo er erstmals die Schönheit schwarzer Diversität erlebte.

Andererseits ist dies auch eine Geschichte der Revisionen und Korrekturen von politischen Ideen. Sie mündet in keinem neuerlichen Traum, sondern in der Kritik unbeweglicher Identitätskonzepte. "Ich hatte mir eingebildet, ich müsse die Außenwelt spiegeln, eine Negativkopie weißer Ansprüche auf die Zivilisation erstellen", schreibt er selbstzweifelnd. "Ich hatte die Selbstbefragungen vergessen, die mir meine Mutter aufgedrängt hatte."

Versöhnung kann es in diesem Text keine geben, zu sehr wird vergangenes Leid immer noch von falscher Unschuld überlagert. Wichtig ist jedoch die Annahme eines Wissens, das mit der Pflicht einhergeht, dem Traum zu widerstehen und die Aufklärung weiter zu tragen. Der Vater kann und will den Sohn nicht vor der Enttäuschung bewahren: "Es tut mir leid, dass ich dich nicht retten kann – aber so sehr auch wieder nicht."

Denn die Tradition der Gewalt zu kennen, ist der erste Schritt in die Selbstbestimmung. Nicht nur in dieser Hinsicht ist Coates' bewegender Text übrigens auch gut übertragbar. (Dominik Kamalzadeh, Album, 2.5.2016)