Was die Moskauer Spatzen schon länger von den Dächern pfiffen, ist nun offiziell: Der Kreml greift wieder auf die Expertise des ehemaligen russischen Vizepremiers und Finanzministers Alexej Kudrin zurück. Kudrin leitet nun den Rat des kremlnahen "Zentrums für strategische Entwicklungen". Seine erste Aufgabe bestehe in der Ausarbeitung einer Wirtschaftsstrategie für den Zeitraum nach 2018, verriet der 55-Jährige. Auftraggeber des Projekts ist seinen Angaben nach der 2012 von Wladimir Putin gegründete "Wirtschaftsrat des Präsidenten", ein Beratungsorgan.

"Wichtigster Teil" der künftigen Strategie "wird alles, was mit dem Erscheinen eines neuen Modells für wirtschaftliches Wachstum verbunden ist", sagte Kudrin. Der auch im Westen als Finanzfachmann geschätzte Kudrin hatte in den vergangenen Jahren als gemäßigter Oppositioneller mehrfach das vornehmlich auf den Öleinnahmen basierende Wachstumsmodell der Regierung kritisiert.

Alte Fehde mit Medwedew

Dass Kudrin nun eine neue Wirtschaftsstrategie entwerfen soll, birgt durchaus Brisanz: Traditionell fallen ökonomische und soziale Fragen eher in den Kompetenzbereich des Premiers, während sich der Präsident hauptsächlich um die Außenpolitik kümmert. So arbeitet das Kabinett von Dmitri Medwedew derzeit an der sogenannten "Strategie 2030", die ebenfalls einen wirtschaftlichen Kurswechsel initiieren soll. Mit Medwedew ist Kudrin seit seinem Rauswurf aus der Regierung im Jahr 2011 über Kreuz – mit Putin blieb das Verhältnis auch nach seiner Demission intakt.

Kudrin dementierte, dass seine Arbeit in Konkurrenz zur "Strategie 2030" stehe. "Radikale Reformen" werde sein Zentrum nicht vorschlagen. In einem Punkt bahnen sich allerdings schon grundsätzliche Änderungen an: Kudrin hat mehrfach eine Pensionsreform angeregt. "Ich bin überzeugt davon, dass das Pensionsalter angehoben wird", die Frage sei nur noch, wann die Reform umgesetzt werde, ob im kommenden Jahr oder erst in fünf Jahren, sagte er nun bei seiner Ernennung zum Wirtschaftsstrategen. Die Anhebung des Pensionsalters sei im Interesse der Pensionisten selbst.

Derzeit liegt das Pensionsalter für Frauen bei 55, für Männer bei 60 Jahren. Allerdings ist die Basisrente so niedrig, dass viele ältere Russen auch nach Erreichen der Altersgrenze weiterarbeiten, um ihren Lebensstandard zu halten. (André Ballin aus Moskau, 28.4.2016)