Bild nicht mehr verfügbar.

Wegen ihrer schönen schwarzen Uniformen oft fotografierte Carabinieri.

Foto: REUTERS/STEFANO RELLANDINI

Dieses Klopfen an der Tür ist auf der ganzen Welt gleich. Es sagt: Vor der Tür steht die bewaffnete Macht. Aber in diesem Teil der Welt, im Norden Italiens, in Santa Maria La Longa, auf halbem Weg von Udine nach Triest, ist der Besuch der bewaffneten Macht nicht so beunruhigend wie in Peking.

Trotzdem ist Bogumil beunruhigt, denn als das Klopfen einsetzt, liest er gerade im "Codice della Strada", der italienischen Straßenverkehrsordnung, jenes Kapitel, das die fünf uniformierten zivilen, bewaffneten Formationen der Republik und ihre Aufgabenbereiche beschreibt. Neben den – wegen ihrer schönen schwarzen Uniformen meistfotografierten – Carabinieri und der immer noch schicken dunkelblauen Polizia Stradale bestehen noch die Guardia di Finanza (grau), die Polizia Comunale (hellblau) und das Corpo Forestale (erdbraune, bewaffnete Waldhüter).

Und sie alle können einen Grund haben, an Bogumils Tür zu klopfen.

Bewaffnete Waldhüter

Die Carabinieri, weil sich vor kurzem ein Diebstahl im Hof ereignet, die Polizia Stradale, weil er als Begleitfahrer für Schwertransporte ohne erforderliche Lizenz tätig ist, die Guardia di Finanza, weil er keinen Cent Steuern bezahlt, die Polizia Comunale, weil sie prüfen will, ob die angegebene Anzahl der Personen im Haushalt nicht etwa durch Mitglieder der Brigate Rosse ergänzt ist, und das Corpo Forestale, weil ... na, wer weiß das schon in einem Land, in dem die Waldhüter eine Beretta Kaliber 9 mm tragen.

Und welcher Art auch immer die bewaffnete Macht da vor der Tür ist, keiner von ihnen kann Bogumil mit einem Joint in der Hand öffnen.

Haschisch riecht schwer

Der Joint aber ist Bogumils kleinstes von drei Problemen. Er dämpft ihn einfach im Aschenbecher aus und legt das "Codice della Strada" wie ein Dach über Aschenbecher und Joint.

Problem zwei, der Geruch von Pierros Haschisch, ist schwererwiegend. Buchstäblich. Er hängt – eben schwer – im Raum, in Bogumils T-Shirt, im hässlichen, bequemen Sofa, und es ist der heißeste August, seit es in Santa Maria Wetteraufzeichnungen gibt. Es besteht nicht die allergeringste Chance, den Rauch zu beseitigen. Im Zimmer und draußen, wo die Macht klopft, steht die Luft still. Nur ist es im Zimmer wegen der dicken Steinwände vergleichsweise kühl. Was die Sache mit dem Rauch auch nicht besser macht. Kalter, nach Haschisch riechender Rauch ist ein Problem, und draußen, im U-förmigen ehemaligen Gutshof in der Via Roma 3 ist stillstehende trockene Hitze, die – was sonst – flimmert. Sobald Bogumil die Tür öffnet, wird ein Würfel aus kühlem Rauch herausfallen, falls Bogumil das betreffende physikalische Gesetz, von dem er annimmt, das es hier zutrifft, richtig deutet.

Bloß nicht Cleo wecken

Dieses Gesetz wabert nun durch sein eingekifftes Gehirn. Es könnte auch umgekehrt sein: Ein Würfel heißer (und flirrender) Luft fällt in das (relativ) kühlere Zimmer hinein. War da nicht noch etwas? Diese ... Entropie ... ?

Wie es seine Angewohnheit ist, wenn ihm etwas Bekifftes im Hirn wabert, schüttelt Bogumil den Kopf und erreicht damit, dass ein neuer Gedanke zu wabern beginnt. Er könnte Cleo aufwecken, die im Zimmer nebenan ihren Rausch ausschläft, Cleo könnte dann zur Tür gehen und demjenigen, der da steht und klopft, ihre großen blonden Walkürentitten vor die Fresse hängen. Aber man kann Cleo nicht aufwecken, wenn sie den Rausch ausschläft, ohne gewalttätig zu werden. Also: keine Chance.

Drittes Problem

Deswegen erschüttelt sich Bogumil einfach Leere im Kopf, schreitet entschlossen zur Tür und macht sie auf. Und in diesem Augenblick, bevor er noch imstande ist, die Uniform zu erkennen, sie einzuordnen und damit wenigstens zu ahnen, was man von ihm wollen könnte, offenbart sich Bogumils drittes und am schwersten wiegendes Problem. Das er beim Behirnen der Entropie aus dem Blick verliert.

Hinter der Uniform, jenseits des kleinen Teichgartens, den Pierro und Sonia jedes Jahr anlegen, gleich auf der anderen Seite des Hofes, reckt sich zwei Meter hoch ein prachtvolles Exemplar der Gattung Cannabis sativa vulgo Marihuana oder, wie sie Jerry in seinem 70er-Jahre-Jargon nennt: "Tia Maria". Und diese Tante Maria ist eine Koproduktion von Pierro & Bogumil. Die Uniform muss sich nur noch Bogumils Blick folgend umdrehen, um sie ebenfalls in all ihrer Pracht zu bewundern. Und die Uniform wäre auch tatsächlich zuständig für diesen Fall. Es ist die elegant-martialische Robe der Carabinieri, in Berlusconis Italien zuständig für die Bekämpfung von Schwerstkriminalität, Mafia und Kiffern wie Piero und Bogumil. Und Jerry.

Jerry hat Pech

Der erst zwei Wochen zuvor Pech hat. Weil er zwei Pflanzen auf dem Fensterbrett züchtet, die ein Carabiniere beim Joggen zufällig sieht. Und der nach dem Joggen mit zwölf Kollegen wiederkommt. Armer Jerry. Es gelingt ihm zwar, die Pflanzen, die noch relativ klein sind, in die Klomuschel zu stopfen. Aber sie wollen nicht untergehen und im Kanal verschwinden. Ein Carabiniere greift in die Muschel und zieht die ganze Pflanze aus dem Klo. Später stellt sich heraus, dass die Pflanze männlich ist und kein THC enthält. Aber Jerrys Tür ist ruiniert, sein Blutdruck noch immer ungesund hoch, und die Grüße seiner Nachbarn sind unterkühlt.

Bogumil bezwingt das Bedürfnis, seine zwei Meter hohe Einladung ins Gefängnis mit dem Blick zu fixieren. Stattdessen blickt er dem Carabiniere ins Gesicht. Gleichzeitig merkt er, wie Thermodynamik funktioniert. Die kühle, nach Hasch stinkende Luft im Haus saugt die heiße Luft aus dem Garten ein. Jetzt erinnert sich Bogumil an seine Physiklehrerin: "Immer von heiß nach kalt!" Im Kopf geht er eine Checkliste durch: "Joint? Check! Gestank? Check! Tia Maria? ..."

Bis zur geplanten Ernte sind es nur noch zwei Wochen. Ein früherer Versuch nach der Taktik des "Guerilla-Gardening" scheitert, weil das Maisfeld, in dem die Marias wachsen, abgeerntet wird. Also in Wahrheit, weil Bogumil und Pierro zu dumm sind zu wissen, wann die Maisernte beginnt. Diesmal gehen sie schlauer vor – zumindest scheint das schlauer zu sein – und pflanzen praktisch vor ihrer Haustür. Dass das nicht schlau ist, erfährt Bogumil soeben. Nichts bleibt mehr zu tun, außer freundlich "Buon giorno!" zu sagen. "Buon giorno!", sagt auch der Carabiniere.

Mensch ohne Freunde und Türschilder

Und fragt: "Ist das die Adresse Via Roma 3, Tür 4?" Das fragt der Carabiniere, weil es hier keine Schilder mit Türnummern an den Türen gibt. Auch keine Namensschilder. In diesem ehemaligen Gutshof wohnen nur Menschen, die keine Freunde und Besucher haben oder keine wollen. Bei manchen ist es Einsamkeit, bei manchen ihre Vergangenheit oder die Gegenwart. Pierro und Sonia sind Ex-Junkies, die drei Brüder aus Bosnien hinterziehen Steuern, die sardische Familie mag die Norditaliener nicht, und der dicke Franco lebt bei seiner und für seine bettlägrige Mutter, die in wenigen Tagen 103 Jahre alt wird.

"Nein", sagt Bogumil, "das ist Tür 2. Tür 4 ist oben ..." Dann deutet er nach rechts, zur Treppe, die in den ersten Stock führt. Später erfährt Bogumil von seinen Nachbarn, einem serbischen Ehepaar, dass der Carabiniere eine billige Wohnung für seinen Cousin aus Sizilien sucht. Das Ehepaar zieht aus, und der Hausherr ist ein Freund des Carabiniere.

In dieser Nacht weht eine heftige Bora, die selten bis nach Santa Maria einfällt. Am nächsten Morgen finden Bogumil und Pierro ihre Tante Maria vom Sturm gefällt und zerrupft im Garten vor. (Bogumil Balkansky, 27.4.2016)