Dennis Adams tanzt in seinem Video den André Malraux. Der sortierte in seinem "Musée imaginaire" die Kunstgeschichte neu und sehr frei, gruppierte das, was sich auf fotografischen Produktionen ähnelte.


Videostill: Dennis Adams

Wien – Fetzen lassen sich dann wohl doch besser im Netz verkaufen als Kunst. Heute ist die Webseite der 2011 mit großem Elan und der Überzeugungskraft großer Galerie-Zugpferde wie Gagosian, Zwirner oder Pace gelaunchten VIP-Art-Fair, der allerersten Onlinekunstmesse, ein Fashionblog. Die von virtueller Leichtigkeit träumende Netzmesse versprach "Viewing in Private" – VIP! – und hoffte wohl auf den Zauber vom Kunstshopping im Bademantel "erste Reihe fußfrei". Man setzte also auf sozialkontaktfreies "Click and Buy" schon auratisierter Kunstmarken, sprich Blue Chips.

Nach einer mit technischen Pannen gespickten Bauchlandung – "Viewer is pissed" – und in quantitativen Dimensionen von Logins, Klicks und Zooms gemessenen Erfolgen probierte man es 2012 neuerlich; die großen Player waren inzwischen abgesprungen. Dann folgte das Einsehen, dass sich das champagnerisierende Lebensgefühl Messebesuch nicht virtuell simulieren lässt. Auf "vipartfair.com" wurde es still.

Von solchen Pleiten ungerührt strebte 2013 auch ein anderes ambitioniertes Kunstprojekt in den sterilen virtuellen Raum: die Online-Biennale. Selbst der reisewütigste Kunstglobetrotter könne nicht heute in Los Angeles und übermorgen in Peking sitzen, glaubte man an die informative Kraft des Zeit und Raum handlich zusammenfaltenden Netzes.

Aber der von 30 internationalen Kuratoren ausgewählte "next hot shit" konnte in der Pixelvariante quasi sein Odeur nicht optimal entfalten. Freilich, die sinnlichen Qualitäten von Kunst – Textur, Farbe, räumliche Wirkung und Atmosphäre – ließen sich nicht vermitteln, räumten die Macher damals ein. Aber "die Erfahrung" im Umgang mit Kunst, die könne diesen Verlust ausgleichen, war man überzeugt. – Auch die Online-Biennale blieb eine Eintagsfliege.

Die Sinneseinbußen zeigen: Ohne unmittelbare Kunsterfahrung wird es wohl auch weiterhin nicht gehen, fehlen der Kunst im Netz doch wesentliche Dimensionen des Erlebens. Womit die schöne bunte Blase von der Demokratisierung der Kunst über den schwellenlosen Zugang im Internet ein Loch bekommt.

Flanieren der Museumsmuffel

Wird das 2011 mit lautem Halleluja begrüßte Google-Art-Project, das inzwischen mehr als 45.000 Kunstwerke hochauflösend zur Verfügung stellt, wirklich Museumsmuffel zum virtuellen Flanieren durch die Kollektionen der Uffizien, der Tate Britain und anderer Kunsttempel verführen? Oder werden eher die üblichen Verdächtigen und die Forscher die Chance nützen, Gemälden, die sonst eine Kordel auf Abstand hält, auf die Pelle zu rücken?

Wird sich das Prinzip "on demand, aber einsam" gegenüber "Ereignis und Interaktion" durchsetzen? Vielleicht wird die Qualität des "Hier und Jetzt" eines Kunstwerks, dessen Aura im Sinne Walter Benjamins – seine "einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag" – heutzutage aber auch gar nicht mehr vermisst? Man schaue sich um in den Museen! Groß und Klein tippen dort mehr auf interaktiven Monitoren oder der Museumsapp am Smartphone herum, als den eigenen Augen am Original zu vertrauen. Die Sehgewohnheiten haben sich radikal verändert.

Ganz analog und ohne Netz geht es freilich heute nicht mehr. Die verpönten Artflipper hypen ihre heißen Kunstaktien auf Instagram, wo die Künstler ihre Arbeiten mit der Hoffnung auf Follower auch selbst promoten. Museen heischen auf Facebook um Friends, bieten Publikationen zum Download an, streamen Vorträge und Diskussionen. So wie die Kunsthalle Wien, die nun mit ihrem neuesten Projekt "L'Exposition Imaginaire" die Debatte darüber anregt, wie Ausstellungshäuser und Museen auf das "Kunstwerk im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit" reagieren.

Chance oder Übel?

Ist das jederzeit zugängliche virtuelle Bilderarchiv "der Anfang vom Ende der Ausstellung oder der Beginn eines ganz neuen Formats", stellt Kunsthallen-Kuratorin Vanessa Joan Müller bei der Pressekonferenz (Direktor Nicolaus Schafhausen war als Videoeinspielung anwesend) als Frage in den Raum. Chance oder Übel? Freilich wolle man nicht die Kunsthalle 4.0 propagieren, die bald keine Räume mehr brauche. Statt Kunst zu zeigen, lädt man nun 30 Experten des Kunstbetriebs zu Vorträgen; manche werden nur per Skype anwesend sein, aber auch das Publikum kann sich vom Sofa zu Hause zuschalten. Wer doch in die Kunsthalle kommt, kann sich dort einen dreistündigen Film anschauen, der aus im Netz gefundenen Videoschnipseln zum Themenkomplex besteht.

Den Titel hat man übrigens bei André Malraux (1901–1976), dem französischen Schriftsteller, Abenteurer und Politiker entlehnt: Dessen "Musée imaginaire" (1953–55) war ein in Buchform gebundenes universelles Bildertheater, das über fotografische Reproduktionen von Kunst funktionierte: also ein Museum aus Papier. Und das war quasi auch raumlos. Mit den Mitteln der Fotografie und ihrer Nachbearbeitung schuf Malraux ein Museum scheinbarer stilistischer Ähnlichkeiten quer über Epochen und Kulturen hinweg.

Aber! Sein raumloses Museum wollte nie etwas anderes sein als Sekundärliteratur. Ein Erkenntnismittel. Spröder Ersatz für das Original, das sollte es nie sein. (Anne Katrin Feßler, 27.4.2016)