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Angela Merkel werden "Lobhudelei", "Heuchelei" und "Hasenfüßigkeit" vorgeworfen.

Foto: Reuters/Bektas

Berlin – Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erntet nach ihrer Türkei-Reise Kritik für ihre Würdigung der türkischen Flüchtlingspolitik. Die "Lobhudelei" sei "unerträglich", erklärte der Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl, Günter Burkhardt. Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki warf Merkel "Heuchelei" vor. Grünen-Chef Cem Özdemir warnte davor, die EU-Milliarden für die Flüchtlingshilfe einfach so an die Türkei zu überweisen.

Besuch in Flüchtlingslager

Merkel hatte am Samstag ein Flüchtlingslager nahe der türkisch-syrischen Grenze besucht und die Anstrengungen Ankaras in der Flüchtlingskrise gewürdigt. Mit der Aufnahme von drei Millionen Menschen habe die Türkei "den allergrößten Beitrag" bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme übernommen, sagte Merkel in Gaziantep. Auch EU-Ratspräsident Tusk lobte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel, dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu und Vize-EU-Kommissionspräsident Frans Timmermans, die Türkei sei "heute das beste Beispiel für die Welt insgesamt, wie wir mit Flüchtlingen umgehen sollten".

Vorgegaukelte Humanität

Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt dagegen erklärte: "Merkels Türkei-Reise gaukelt Humanität vor, wir erleben aber den größten Angriff in der Geschichte der EU auf das Menschenrecht auf Asyl." Der Flüchtlingspakt mit Ankara heble das Recht auf Asyl aus.

Kubicki sagte im Fernsehsender Phoenix, Merkel habe es nicht ertragen können, "dass 4.000 Menschen in Budapest auf dem Bahnhof gesessen haben, aber jetzt schauen wir zu, wie 12.000 Menschen in Idomeni unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen, und das interessiert uns nicht weiter".

Randthema Meinungsfreiheit

Über die Lage der Menschenrechte werde mit der Türkei immer wieder offen gesprochen, sagte Merkel bei der Pressekonferenz – allerdings erst auf Nachfrage. So werde immer wieder deutlich gemacht, dass Werte wie Pressefreiheit und Meinungsfreiheit unveräußerlich seien.

Bundespräsident Joachim Gauck verteidigte den Flüchtlings-Deal mit der Türkei. Deutschland und die Europäische Union müssten "politikfähig bleiben mit Staaten, die anders als wir den Menschenrechten – überhaupt im Prinzip der Rechtsstaatlichkeit – nicht die Bedeutung beimessen, wie wir es tun". Anderenfalls würde ein Teil der Partner "schlichtweg ausfallen", sagte er am Sonntag im Deutschlandfunk.

Journalistin verhaftet

Eine niederländische Journalistin türkischer Abstammung wurde am Wochenende nach kritischen Äußerungen über Präsident Recep Tayyip Erdogan festgenommen, später aber wieder freigelassen. Ebru Umar wurde nach eigenen Angaben in der Nacht zum Sonntag aus ihrer Wohnung in der westlichen Küstenstadt Kusadasi von der Polizei mitgenommen. Umar hatte jüngst für die niederländische Zeitung "Metro" eine sehr kritische Kolumne über Erdogan verfasst.

"Die entscheidende Frage ist, wer hier die Hand darauf hat. Denn die Türkei erhält ja nicht gerade großartige Noten bei der Bekämpfung von Korruption", sagte Özdemir am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Jetzt, wo Journalisten in der Türkei nicht mehr kritisch berichten könnten, sei auch niemand mehr da, der einen möglichen Missbrauch der Gelder aufdecken könne.

"Hasenfüßigkeit"

Merkel sei bei ihrem Türkei-Besuch durch "Hasenfüßigkeit" aufgefallen, kritisierte der Grünen-Chef. Sie habe 2005 ohne Not die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgewürgt. "Jetzt hat sie die Türkei wiederentdeckt, aber aus einer Position der Schwäche heraus", fügte er hinzu. Präsident Erdogan verhalte sich Merkel gegenüber jetzt nach dem Motto "Man sieht sich im Leben immer zweimal" und koste die derzeitige Situation genüsslich aus.

Zu Merkels Kurzbesuch in einem Flüchtlingslager sagte Özdemir: "Ankara hat die Gelegenheit erhalten, ein potemkinsches Dorf vorzuzeigen, um zu dokumentieren, wie gut es den Flüchtlingen in der Türkei angeblich geht." Das Lager in Nizip rund 50 Kilometer östlich von Gaziantep-Stadt, in dem gut 4.800 Syrer Schutz gefunden haben, gehört zu den Vorzeigeeinrichtungen der Türkei für Flüchtlinge.

Die EU hatte der Türkei für Unterstützung in der Flüchtlingskrise eine Aufhebung der Visumpflicht, die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen und Finanzmittel für die Versorgung von fast drei Millionen syrischen Flüchtlinge zugesagt. (APA, 24.4.2016)