Bild nicht mehr verfügbar.

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hat gut lachen. Der Journalismus in seinem Land ist nach Einschätzung von Giulio Anselmi eher unkritisch und kämpft nicht für die eigene Unabhängigkeit.

Foto: REUTERS/Alessandro Bianchi

Anselmi: Die Stille nach der Fusion ist erstaunlich.

Foto: privat

STANDARD: Wie schaut die Zeitungslandschaft nach der Krise, die die Medienbranche in den vergangenen Jahren auch in Italien durchgemacht hat, aus?

Anselmi: Wir erleben im Westen eine generelle Krise der Printpresse. In Italien ist die Mauer von sechs Millionen verkauften Exemplaren eingebrochen. Jetzt sind wir bei knapp über vier Millionen. Wir werden uns nie erholen. Es war ein Fehler zu glauben, das Internet wäre ein Allheilmittel, noch dazu kostenlos. Die verlorengegangenen Zeitungsexemplare konnten nicht durch Online-Aktivitäten wettgemacht werden, weil die Einträge viel niedriger sind. Man hat keine Alternative gefunden. Auch die kleineren wie "Il Piccolo" wurden nicht verschont. "Il Mattino", "Il Secolo XIX", "Il Gazzettino" verkaufen heute weniger als die Hälfte als vor zehn Jahren. Die großen überregionalen Zeitungen "Corriere della Sera", "Repubblica", "Sole 24 Ore" erreichen nur noch je rund 300.000 verkaufte Exemplare, die Hälfte früherer Werte.

STANDARD: Die Fusion der Zeitungen "La Repubblica" und "La Stampa", die die Branche auf Kopf stellt, ist stillschweigend zur Kenntnis genommen worden. Warum?

Anselmi: De facto haben wir in Italien zwei große Verlagsgruppen: eine um "La Repubblica", zu der auch "Il Secolo XIX" und "L'Espresso" gehören. Und die zweite um den "Corriere della Sera", wo sich seit Jahren eine Clique von Herausgebern streitet und gegenseitig bekämpft. Man spekuliert auch über eine Fusion von "Corriere" und "Sole", ich glaube aber nicht daran. Es gibt dann den Verleger Gaetano Caltagirone, der unter anderem "Il Mattino", "Messaggero", "Gazzettino" herausgibt, dem man ein Expansionspotenzial zutraut.

STANDARD: Ein Problem scheint der Mangel an echten Verlegern in Italien zu sein. Die meisten sind Unternehmer.

Anselmi: Pure Verleger sind rar. Eher sind es Industrielle, die ins Mediengeschäft eingestiegen sind, um Einfluss über die Politik zu bekommen: die Zeitung als Druckinstrument. Attilio Monti, langjähriger Verleger von "La Nazione" und "Il Resto del Carlino", pflegte zu sagen: "Meine Zeitungen sind meine Pistolen."

STANDARD: Wie haben Italiens Zeitungen generell auf die digitale Revolution reagiert?

Anselmi: Sehr langsam. Sowohl die Verleger als auch die Journalisten haben sehr spät Antworten auf die Herausforderungen des Internets gesucht. Wir sind technologisch rückständig, erst vor zehn Jahren hat man begonnen aufzuholen.

STANDARD: Stellt die Fusion von "La Repubblica" und "La Stampa" eine Bedrohung für die Pressevielfalt dar?

Anselmi: Sie ist ein Problem. Ich glaube aber nicht, dass sie mit der Absicht entstanden ist, ein Kartell, ein Oligopol zu bilden. Eher ist sie aus blanker Panik, zu sterben, aus einer Überlebensnot entstanden und nicht wegen irgendwelcher politischen Absichten. Erstaunlich ist allerdings die Stille, mit der die Fusion von Politik und Medien aufgenommen wurde. Alle haben einfach Angst davor, den Job zu verlieren, und die Politik fürchtet sowieso die Zeitungen nicht. Diese Angst, zu verschwinden, sagt eine Menge aus über das Gefühl, vor dem Aus zu stehen, und die großen Schwierigkeiten, vor denen die Branche steht.

STANDARD: Wie ist es mit der Qualität des Journalismus in Italien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und den USA bestellt?

Anselmi: Es gibt nicht nur die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "The Times", "The Independent", "The Wall Street Journal", die zum Teil eine Balance zwischen Print und Online gefunden haben. Im Europavergleich ist die Lage in Deutschland und Großbritannien besser als in Italien. In Frankreich zum Beispiel geht es dagegen vielen regionalen Zeitungen schlechter. Im Allgemeinen ist Journalismus bei uns in Italien eher unkritisch, man kämpft für die Privilegien und nicht die eigene Unabhängigkeit, der Journalismus ist an der Beziehung zur Macht interessiert. (Flaminia Bussotti, 25.4.2016)