Nepals Premier K. P. Oli (Mitte) bei der Trauerzeremonie für den verstorbenen Spitzenpolitiker Sushil Koirala im Februar in Kathmandu.

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STANDARD: Der Westen gibt Nepals Regierung die Schuld am langsamen Wiederaufbau. Zu Recht?

Baral: Wir hier in Nepal fühlen genauso. Ein Jahr ist vergangen, und nichts ist passiert. Die Führung konnte sich nicht einmal auf einen Koordinator für den Wiederaufbau einigen.

STANDARD: Woran liegt das?

Baral: Die Parteien sind in ihre internen Angelegenheiten verstrickt, die Regierung beschäftigt sich lieber mit ihrem eigenen Überleben, und es herrscht eine Art bürokratische Anarchie. Zudem haben die Politiker auch ihre eigenen Interessen, die den Wiederaufbau nicht unbedingt beschleunigen.

STANDARD: Hat die neue Verfassung mehr Gerechtigkeit gebracht?

Baral: Es gibt durchaus Beschwerden, vor allem von den Madhesi im südlichen Terai-Flachland (an der Grenze zu Indien, Anm.). Diese Volksgruppe beansprucht zumindest zwei der neugeschaffenen Provinzen und kritisiert die interne Grenzziehung. Das Thema der Staatsbürgerschaft, nämlich dass die Staatsangehörigkeit nur durch den Vater weitergegeben wird, ist ein anderes Problem. Die großen Parteien könnten diese Dinge aber leicht regeln, sofern sie sich endlich einigen.

STANDARD: Nepal ist erst seit acht Jahren eine Republik. Wünschen sich viele den König zurück?

Baral: Natürlich gibt es nach 250 Jahren Monarchie noch Anhänger des Königshauses, vor allem, wenn die Menschen die ineffiziente Regierung heute beobachten. Als der König abgedankt hat, gab es aber kaum Demonstrationen für seinen Verbleib. Viele Nepalesen finden aber, dass ein stärker hinduistisch geprägter Staat besser wäre, weil Säkularismus in einem so stark diversifizierten Land in ihren Augen nicht funktioniert. Daran ist aber vor allem das Scheitern der herrschenden Politiker schuld.

STANDARD: Gibt es Widerstand gegen das traditionelle Kastensystem?

Baral: Das Kastensystem ist durch Bildung und Aufklärung schon etwas verwässert, in der Bergregion stirbt es langsam aus. Im Süden, bei den Madhesis, die stark mit Indien verbunden sind, ist das noch anders, dort gibt es zum Beispiel kaum Ehen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kasten.

STANDARD: Wie eng sind Nepals Beziehungen zum großen Nachbarn Indien?

Baral: Wir hätten nicht erwartet, dass Indien mit seiner nichtdeklarierten Blockade so weit geht. Indien hat schon seit den 1950er-Jahren starken Einfluss auf unsere Innenpolitik. Nach dem chinesischen Einmarsch in Tibet 1950 fühlte sich Indien verwundbar, und diese Psychologie gilt auch heute noch. Obwohl Indien und China, der zweite große Nachbar, lokal gut zusammenarbeiten, sieht Indien den chinesischen Einfluss in der Region nicht gerne. Besonders im Süden hat Delhi große Interessen, die Madhesi haben eine starke Lobby in Indien. Nepal muss aber sowohl mit Indien als auch mit China kooperieren. (Florian Niederndorfer, 25.4.2016)