Eine Aufschlagseite aus Carry Hausers "Buch von der Stadt".

Foto: Lukas Friesenbichler

Anno 1921 schuf Carry Hauser (1895-1985) eine poetische, assoziative Metapher für das moderne Leben. Das Buch von der Stadt ist eine Abfolge 27 typisierender Szenen. Auf dem Cover die Silhouette einer fiktiven Großstadt, über der sich eines Menschen waches Auge erhebt. Blau als Farbe der Sehnsucht und Melancholie, die die Nacht als Symbol hektischen, stetigen Treibens insinuiert.

Selbst der Mond verblasst gegenüber den grellen Lichtern und dem pulsierenden Leben. Hauser schuf ein Epos, das die Moderne darstellte. Düster, rätselhaft, fasziniert. In kubistisch-expressiven Collagen vermengt er Wort und Bild, klagt an, lobt, ist euphorisch, ist zu Tode betrübt oder apathisch. "Aus Steinegewirr und elektrischer Lampen Geflimmer klingt singender Klage Klang", beginnt sein Hymnus an die Urbanität: "Du, Brudermords Erbe, kubisch gestaltetes Menschenwerk, geliebt und gehasst, mordend und liebend zugleich."

Lyrisch-entrückt entwirft er ein Kaleidoskop an Fratzen, Phrasen, Mythen und Realitäten. Man begegnet Hure und Jungfrau mit "Millionen von Brüsten, Säulen aus Stein und Beton", Wanderern Gottes, Wüstlingen, Genossen, Heiligen, Bordellen und Spitälern, Kokain, Opium, der "Menschheit Flucht in kristallene Träume", wehenden Fahnen und Revolutionen. Nun erschien dieses poetische Skizzenbuch als Faksimile, im Originalformat. "Gleich einer Wunde frisst Du weiter Dich, unersättliche Stadt. Bedeckst den Erdball mit eiternden Schwären." Gültigkeit ist gewahrt. (Gregor Auenhammer, 23.4.2016)