Dieses Porträt eines Jugendlichen entstand in einer Flüchtlingsunterbringung im steirischen Rothleiten. Es gehört zu jenen, deren Entstehung man auch im Film in der Ausstellung in Graz sehen kann.

Foto: Minoriten/Bruère

Graz – Guillaume Bruère sitzt seinen Modellen gegenüber. Auf Augenhöhe sieht er ihnen ins Gesicht – und sie ihm. Es sieht aus, als würde er, während er mit Bleistift die Konturen einfängt und dann auf der Suche nach der richtigen Temperatur seines Gegenübers Wasserfarben anmischt, schweigend nach etwas suchen. Irgendwo zwischen den Augen und dem Haaransatz, um die Mundwinkel oder auf den Wangen haben sich Geschichten versteckt. Bruères Modelle haben alle eine schwierige, oft lebensgefährliche Flucht hinter sich.

Wie er sie porträtiert, kann man im kurzen Film Welcome Rothleiten sehen, der Ende März bis Anfang April in einem Flüchtlingsheim der Caritas im steirischen Rothleiten gedreht wurde. Der Film wird derzeit in der Ausstellung Flüchtlingsporträts/Portraits of Refugees im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz gezeigt.

Ringsum hängen die Gesichter der Menschen, die der in Berlin lebende französische Künstler festgehalten hat. Vor den Begegnungen in Rothleiten tauchte ein Teil der Welt, die Bruère nur aus den Nachrichten kannte, mitten in seinem Alltag auf. Er war mit seinen Kindern in Berlin spazieren, als er entdeckte, dass in seiner Nachbarschaft in einer Turnhalle ein Notquartier für Flüchtlinge entstanden war.

Hier begann Guillaume Bruère seine Sitzungen mit Flüchtlingen, die bereit waren, sich von ihm zeichnen zu lassen. Es sind alte und jüngere Männer, Frauen mit und ohne Kopftuch, Jungs, Mädels und ein paar Kinder mit ihren Eltern. Die einfühlsamen Porträts entstanden zwischen überfüllten Schlafsälen. Jedes Einzelne verrät ein bisschen über Persönlichkeiten, die hinter dem "Kollektiv" der Flüchtlinge stehen. Da sind Zahra und Hamsa, zwei Mädchen, die jede für sich entschlossen und energisch ihrem Zeichner und ihrer Zukunft entgegenblickt, die eine mit strengen Zöpfen, die andere mit fröhlichen Augen. Da ist Kadijeh, der ernst geradeaus blickt, während das Kind in seinem Arm recht unbekümmert wirkt. Ihnen gegenüber hängt das Porträt von Hamit, der nachdenklich den Kopf aufgestützt in beiden Armen hält.

Alle Blätter hängen rahmenlos direkt auf den dicken alten Klostermauern der Galerie in den Minoriten. Noch ist alles offen, ihr neues Leben hat gerade erst begonnen und man wünscht sich, dass sie alle noch vielen Menschen begegnen, die ihnen auf Augenhöhe ins Gesicht blicken und neugierig auf ihre Geschichten und ihre Talente sind. (Colette M. Schmidt, 21.4.2016)