Konstantin Sergejewitsch Stanislawski hat eine einfühlende Darstellung verlangt.

Foto: Theatermuseum

Für Bertolt Brecht war Verfremdung notwendig, um Veränderbarkeit anzuzeigen.

Foto: Theatermuseum

Jerzy Grotowski proklamierte ein "armes Theater", fokussiert auf den Körper.

Foto: The Grotowski Inst.

Antonin Artaud stellte sich gegen Nachahmung und "Tyrannei des Textes".

Foto: Imagno Roger-Viollet

Peter Brook hat sich der Poesie des Theaters im "leeren Raum" verschrieben.

Foto: Theatermus. München

Wien – Gewiss würde so manchem Regietitanen des 20. Jahrhunderts die Kinnlade runterklappen, wenn er sehen könnte, was sich in Theaterinszenierungen heute so abspielt. Dabei könnten heutige Livevideokameras oder körperzentrierte Performances durchaus im Sinne des einen oder anderen Herrn gewesen sein: Das postdramatische Theater ist ja nichts anderes als die Weiterentwicklung von Ideen etwa Bertolt Brechts "epischem Theater".

Das Victoria and Albert Museum in London hat für seine Installation Five Truths fünf der prägendsten europäischen Theaterregisseure ausgewählt, um deren Stile vergleichend einander gegenüberzustellen. Als Referenzszene diente der berühmte Wahnsinnsmonolog Ophelias aus Shakespeares Hamlet. Warum das alles? Um einerseits der ephemeren Kunstgattung ein wenig Speicherplatz zu ermöglichen und auch, um die Museumsarbeit betreffs Theater zu erweitern. Meist hört sie nämlich beim Sammeln von Objekten der Theatergeschichte auf. Wie schwierig es aber ist, der Kunst einer Inszenierung dauerhaft habhaft zu werden, zeigen abgefilmte Inszenierungen.

Die Titanen sind: Konstantin Stanislawski (1863-1938), Antonin Artaud (1896-1948), Bertolt Brecht (1898-1956), Jerzy Grotowski (1933-1999) und Peter Brook (*1925). Als weibliches Gegengewicht wurde die britische Starregisseurin Katie Mitchell engagiert, die die Ophelia-Szene dem jeweiligen Regiestil entsprechend nachinszenierte, und zwar gebannt auf Videobild.

Mitchell ist eine Theatermacherin mit Expertise in multimedialen Bühnenarrangements; ihre Bühnenbilder gleichen hochkomplexen Filmsets. Zuletzt war sie mit dem Kriegsdrama The Forbidden Zone bei den Salzburger Festspielen zu Gast. Im Kasino des Burgtheaters hat sie vor zwei Jahren Peter Handkes Wunschloses Unglück inszeniert.

Five Truths nun ist ein nachtblauer begehbarer Kubus, in dem an allen vier Wänden auf Bildschirmen die entsprechenden Ophelia-Szenen simultan laufen. Beginnt sie in der Brecht'schen Methode mit dem Anknipsen einer knackenden Leuchtstofflampe und dem à la Kurt Weill gesungenen Text, so ist die Interpretation eingedenk Artauds und seiner erschütternden Körperlichkeit die Variation eines im Video verzerrten Gesichts.

Die Simultaneität mag den Betrachter anfangs stören, da sich auch die Tonspuren in die Quere kommen und fürs erste Bertolt Brecht (und sein textlastiger Regiestil) alles übertönt. Wer aber mehr als zwei "Runden" verweilt, wird auch die Vorzüge dieser Parallelführung erkennen: So ist Ophelias nächtliche Tischlampe bei Stanislawski (im Gegensatz zu der des direkt daneben platzierten Brechts) eine jener gutbürgerlichen Stofflampenschirme mit Knipskordel und kommt damit dem Naturalismus des 19. Jahrhunderts am nächsten.

Mehr als 600 Takes

Mehr als 600 Takes in drei Tagen hat die Schauspielerin Michelle Terry für die Varianten der jeweils knapp zehnminütigen Szenen gemacht, sagte V&A-Kuratorin Kate Bailey bei der Eröffnungspressekonferenz am Mittwoch. Das V&A Museum hat seit 1922 eine eigene Theatersammlung, aus ihren Beständen wurde u. a. auch die große David-Bowie-Wanderausstellung bestückt.

Die Installation Five Truths wurde 2011 erstmals öffentlich gezeigt, seither wandert sie zu ausgewählten Ausstellungshäusern, war nach dem V&A etwa auch in Paris, Leeds, in Washington D.C. und in Amsterdam zu sehen. Seit gestern ist das Theatermuseum im Palais Lobkowitz seine Schaustätte und wird dort bis 31. Oktober im Erdgeschoß installiert sein. Danach geht es ab nach Moskau.

Vor allem Studierenden dürfte diese historisch-analytische, aber auch künstlerische Arbeit zur Anschauung dienen. (Margarete Affenzeller, 21.4.2016)