Die emotionale Beziehung zu der eigenen Mehrsprachigkeit ist oft konfliktreich.

Foto: christian fischer

Als Beraterin zu Belangen der mehrsprachigen Erziehung arbeite ich mit Eltern und Pädagoginnen, hin und wieder mit Kindern, aber viel öfter geht es um die Kinder, ohne dass sie direkt mitgestalten. Sie sind Babys oder Kleinkinder, und ich unterstütze ihre engagierten Eltern. Im heutigen Blogeintrag will mich an einer Innensicht des Kindes versuchen.

Im Konflikt

Und ich fange mit mir selbst an. Ich bin mit drei Sprachen aufgewachsen. Zuerst waren es Bulgarisch und Spanisch. Später, als meine Familie nach Österreich zog, kam Deutsch als Zweitsprache dazu. Meine Mutter erzählte mir, dass ich mit fortschreitendem Alter anfing, das Spanische abzulehnen. Wahrscheinlich, meint sie, weil es wenig Momente gab, um mit mir zu sprechen und wenige andere Bezugspersonen für diese Sprache. Meine Mutter ist trotzdem an dem Spanischen drangeblieben, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

Als später Deutsch zur Umgebungs- und Schulsprache wurde, merkte ich, wie mein Bulgarisch immer mehr nachließ. Ich fand es beängstigend, und es verunsicherte mich sehr. Trotzdem konnte ich mit niemandem diese Angst teilen, da ich sie auch für mich nicht richtig definieren konnte. Ich hatte einfach ständig das Gefühl, dass ich nicht gut genug war, nicht so gut, wie ich es sein sollte. In meinen literarischen Texten verwehrte ich mir lange Zeit, auf Bulgarisch zu schreiben. Wie in einer Art Selbstzensur, weil ich ja nicht gut genug war, um in dieser Sprache literarisch zu schaffen.

Wie es um die emotionale Beziehung zwischen mir und meinen Sprachen steht, verstand ich erst später, als ich bereits Philologie studierte. Dass diese Beziehung selten äquivalent, vielmehr asymmetrisch, oft hierarchisch und bisweilen konfliktiv ist, darauf weist zum Beispiel der Sprachwissenschafter Georg Kremnitz hin.

Das Vergessen

Auf meiner Website veröffentliche ich monatlich Interviews mit mehrsprachigen Menschen oder solche, die sich mit dem Thema befassen. So interviewte ich auch Mona Shama, die mit Deutsch und Arabisch aufgewachsen ist. Auf meine Frage, wie es ihr mit ihrer Mehrsprachigkeit als Kind ergangen ist, antwortete sie: "Ich wurde immer besser und vergaß auf das Arabische. Ich vergaß meine eigene Muttersprache. Was meinen Eltern so gar nichts ausmachte, denn wir lebten schließlich in Österreich, hier wird nur Deutsch gesprochen. Arabisch brauchte keiner hier – dachten sie zumindest. (...) An unserer Schule hatte ich nie das Gefühl, dass Mehrsprachigkeit irgendeinen Wert hatte. Ich hörte nur ständig: 'Wir sind hier in Österreich, da wird nur Deutsch gesprochen!' Deutsch und nichts außer Deutsch. Es frustrierte mich zu sehen, dass ich nichts mit meiner Muttersprache anstellen konnte. Schließlich war ich fest davon überzeugt, dass bilinguale Kinder völlig wertlos sind und eine zweite Sprache eigentlich nichts Besonderes sei."

Die Erkenntnis

Die Erkenntnis kommt oft viel später. In meinem Fall war es ein Schriftsteller-Freund, der mir Mut machte, neben Deutsch auch in meinen anderen Sprachen zu schreiben. Er gab mir den Anstoß, und es war eine großartige Befreiung von dem Zwang, einer Vorstellung genügen zu müssen.

Auch Tina Cakara, Germanistikstudentin, die ich dazu befragte, erkannte den Wert ihrer zweiten Muttersprache erst später. Sie spricht Deutsch und Kroatisch: "Je älter ich werde, umso mehr wird mir bewusst, was für ein Geschenk meine Mehrsprachigkeit ist", erklärt sie.

Dass gelebte Mehrsprachigkeit keinem Schema folgt, sondern immer individuell passiert, fasst der Sprachwissenschafter Peter Cichon wunderbar zusammen: "Wenn wir uns jedoch in der wissenschaftlichen Betrachtung auf die Formenvielfalt gelebter individueller Zweisprachigkeit einlassen und nicht nach vorschnellen Zuordnungen und Kategorisierungen suchen, erweist sie sich als eine niemals versiegende Quelle faszinierender sprachwissenschaftlicher Erfahrungen." Und nicht nur für die Forschung ist es eine niemals versiegende Quelle, auch für das jeweilige Individuum, für uns Mehrsprachige. Tina Cakara nennt es ihren "Schatz". Ich nenne es mein Erbe, den Zugang zu einem Teil meiner selbst.


Meine Sprache

Ich will

dich am Kamm meiner Seele als einzige Sprache –

mit der tausendsten Zunge dieser Erde, braun, gelb, weiß,

verstummt, offen, müde, beeindruckend

öffnest du mir die Augen mit deinen Worten,

als eine einzige endlose.

Warum aber verliere und gewinne ich dich,

ich bin deiner Geduld nicht würdig.

Gedicht aus dem dreisprachigen Buch "Аз und tú" erschienen bei Verlag "Edition Yara" 2012. (Zwetelina Ortega, 20.3.2016)