"In welche Richtung es mit Vučić (Bild) geht, weiß man nie", sagt Politikwissenschafter Vedran Džihić, der im serbischen Premier vor allem einen Meister des Spagats sieht.

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Wien – Der "Darling des Westens" auf dem Balkan lässt wieder wählen. Am kommenden Sonntag ruft der serbische Premier Aleksandar Vučić die Bürger an die Urnen – nur zwei Jahre, nachdem sie ihn mit absoluter Mandatsmehrheit und 48,4 Prozent der Stimmen an die Spitze der Regierung gewählt haben. Der Grund für den Urnengang, den Vučić im Jänner ausrufen ließ, ist nicht ganz klar. Und auch der Ausgang wird nur wenig ändern: Jüngste Umfragen sehen seine Serbische Fortschrittspartei SNS bei rund 50 Prozent.

Und trotzdem: "In welche Richtung es mit Vučić geht, weiß man nie", sagt der Politikwissenschafter Vedran Džihić am Dienstag bei einer Diskussion im Presseclub Concordia in Wien. Zu oft habe der Premier im Laufe seiner Karriere schon bewiesen, dass er ein Meister des politischen Spagats sei. Wo er nach der Turnübung zum Stehen komme, bleibe abzuwarten. Möglich sei, dass Vučić die gefestigte Macht für Reformen nutze. Aber sicher sei dies keineswegs.

"Es ist ein sehr komischer Wahlkampf", findet auch Žarko Radulović, Chef der "Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen" und Kenner der serbischen Politik bei der Veranstaltung – die vom Karl-Renner-Institut und dem Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) ausgerichtet und von STANDARD-Korrespondentin Adelheid Wölfl moderiert wurde. "Es gab keine großen Themen und keine TV-Diskussionen." Bezüglich des Ausgangs gebe es nur wenig Spannung.

Aus für die letzte Bastion der Liberalen

Klar ist etwa nach Umfragen auch, dass Vučićs aktueller Koalitionspartner, die sozialistische SPS, wieder bei rund zwölf Prozent liegen werde. Einzige Änderung: Die liberale Demokratische Partei (DS), einst Regierungskraft, kämpft nun bei rund fünf Prozent um den Einzug ins Parlament. Sie werde auch ihre bisherige Hochburg, die Vojvodina, verlieren. Dennoch sei vorstellbar, dass die DS am Ende in der nächsten Regierung lande – als neuer Koalitionspartner der SNS, der für den proeuropäischen Kurs der Regierung stehen soll.

"Äußerst durchwachsen" findet Nedad Memić, früher Chefredakteur bei "Kosmo", nun bei "59seconds.com", die bisherige Bilanz der serbischen Regierung in der Region. Die Sorge, der einst nationalistische Vučić könnte die Politik seines Vorgängers Boris Tadić grundlegend ändern, habe sich nicht bewahrheitet. "Die Botschaften, dass man das Leiden des jeweils anderen respektieren müsse, sind sogar häufiger geworden." Aber an konkreten Inhalten fehle es noch immer. "Man versucht zu kooperieren, und dann passiert irgendwas – etwa die Verurteilung von Radovan Karadžić oder der Freispruch für Vojislav Šešelj –, und alles geht auf null zurück." Überall sei es das Ziel der Regierungen, "die eigene Bevölkerung nicht zu kränken". Das bringe im Miteinander auch Probleme.

"Ich oder der Verrückte"

Ob der Freispruch für Šešelj Premierminister Vučić nun helfe oder schade, sei noch nicht ganz klar, waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Wenn seine Radikale Partei SRS nun – wie in Umfragen vorausgesagt – ins Parlament einzieht, gibt es im Parlament wieder eine klar antieuropäische Kraft. Das könne die Regierung durchaus unter Druck setzen – ihr aber auch helfen, Druck auf Europa zu auszuüben. "Vučić könnte die Europäer vor die Alternative stellen: Entweder ich, oder ihr kriegt diesen Verrückten, der auf der Straße Flaggen verbrennt", sagt dazu Džihić.

Und all dies passiere in einer Situation, die für die Region bereits jetzt so gefährlich sei wie kaum je in den vergangenen 16 Jahren. "Mazedonien steht vor der Explosion, Kosovo nirgendwo und Bosnien im Nirwana. Die neue kroatische Regierung streitet mit Serbien über die EU-Verhandlungen, und die EU selbst ist schwach." Das steigere auch die Anziehungskraft Russlands, mit dem sich besonders in Serbien ohnehin viele emotional enger verbunden fühlten als mit der EU.

Brüssel müsse sich Sorgen machen, findet auch Radulović, der eine neue Umfrage anführt, in der sich rund 70 Prozent gegen eine euro-atlantische Integration Serbiens gestellt hätten. (Manuel Escher, 19.4.2016)