Eine Frage der Gerechtigkeit: Ein dänischer Kriegsheimkehrer muss sich in Tobias Lindholms "A War" für seinen Einsatz verantworten.

Foto: Studiocanal

Wien – "Es geht nicht darum, was du hättest tun sollen, sondern was du jetzt tust." Das Ehepaar hat soeben das Büro des Strafverteidigers verlassen. Auch dieser wollte von Claus (Pilou Asbæk) eine Entscheidung. Das ist der wichtigste Moment im Leben des Mannes – noch wichtiger als jener in Afghanistan, als er vor ein paar Monaten über das Leben eines seiner Soldaten entscheiden musste.

Nun muss er sich in Dänemark vor Gericht verantworten. Bei dem Einsatz, den er anführte, starben elf Zivilisten. Seine Frau Maria (Tuva Novotny) möchte endlich wieder ein Familienleben führen, doch möglicherweise muss Claus ins Gefängnis, weil die richtige Entscheidung vor allem im Krieg oft die falsche sein kann – und umgekehrt.

Keine passende Antwort

Als Hollywood im Zuge der Golfkriege mit Filmen wie Rules of Engagement und Black Hawk Down das Kriegsfilmgenre wiederentdeckte, spielte die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Einsätzen und Operationen eine zentrale Rolle für das Selbstverständnis der Nation. Selbst Filme mit liberaler Gesinnung wie Three Kings, der als Kriegssatire auftrat, wussten auf die Unüberschaubarkeit moderner Kriegsszenarien keine passende Antwort.

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Tobias Lindholms A War (Krigen), auch einer der Eröffnungsfilme von Crossing Europe, mutet zunächst wie ein bescheidener Nachtrag zu diesen hochbudgetierten Hollywoodfilmen an, erweist sich jedoch auch als eine bis ins Detail reflektierte Nachbetrachtung. Denn die auf die beiden Schauplätze Afghanistan und Dänemark aufgeteilte Erzählung nimmt nicht nur die ungelösten Fragestellungen moderner Kriegsführung auf, sondern verlängert diese in die Familien der Soldaten, in den Gerichtssaal – und letztlich in das Gewissen des Einzelnen. In dieser Hinsicht ist A War auch kein Heimkehrerdrama, in dem ein Kriegsneurotiker nicht mehr zurück in die Gesellschaft fände, sondern ein Film über die Legitimität des Zurückfindens.

Semidokumentarisch

Lindholm setzt dabei vornehmlich auf einen semidokumentarischen Gestus, der das Geschehen an der Front und das in der Heimat miteinander verknüpft: Während sich die Ereignisse am Kriegsschauplatz zuspitzen und Claus immer stärker in psychische Bedrängnis gerät, ist die Anspannung zu Hause bei seiner Frau eine völlig andere, aber keine geringere. Beide Systeme, in deren Routinen und Abläufe Lindholm abwechselnd immer tiefer vordringt – hier die tägliche Patrouille, dort die Herausforderung und Verantwortung als Alleinerzieherin -, drohen langsam zu kippen. Dort wie da gilt es das richtige Maß an Empathie und Stärke zu finden.

"Papa, stimmt es, dass du Kinder getötet hast?" Eine Frage wie diese ist in A War irgendwann selbstverständlich. Sie wird so nüchtern gestellt, wie die Staatsanwältin die Anklage verliest. Denn dieser Film ist auch einer über das Sprechen und das Schweigen: Was auf Tonband zu einer Verurteilung führen kann, muss von Zeugen bestätigt werden. Was am Telefon dem Kind nicht gesagt werden kann, weil es bereits schläft. Oder seiner Frau, weil einem die richtigen Worte fehlen. Doch kommt man der Wahrheit oder einander überhaupt näher, wenn immer alles gesagt wird? Nein. (Michael Pekler, 19.4.2016)