Das Rollfeld ist ein Fußballplatz. Oder eine Joggingstrecke. Kaum senkt sich die Sonne hinter den mit dichtem Regenwald bewachsenen Hügeln, belebt sich das mit Betonplatten gepflasterte Feld, von dem einmal am Tag eine kleine Propellermaschine abhebt. Sie ist die einzige Möglichkeit nach Playón Chico zu gelangen – außer man begibt sich erst auf eine mühsame Reise per Boot durch eine verworrene Inselwelt und dann per Allradwagen durch den Dschungel.

Playón Chico ist eines der Verwaltungszentren der autonomen Indianerregion San Blas an der panamaischen Karibikküste. Ein Landstrich von beinahe 400 Kilometern mit hunderten vorgelagerten Winziginseln – Postkartenästhetik inklusive. Rund 30.000 Kuna-Indianer leben hier, ein Zehntel von ihnen auf Playón Chico, einer kleinen Insel rund 100 Meter von der Küste entfernt.

Einmal am Tag landet auf dem Rollfeld von Playón Chico eine kleine Propellermaschine. Die Kuna- Indianerinnen warten schon auf die Neuankömmlinge.
Foto: Stephan Hilpold

Nach einer scharfen Linkskurve donnert die Propellermaschine an diesem Montagmorgen kurz vor sieben auf das Rollfeld zu. Einige Kuna-Frauen in traditionellen Gewändern stehen teilnahmslos an dessen Ende, an den Füßen Flip-Flops, in der Hand Handys, neben ihnen eine Handvoll Touristen und einige Missionare. Nur eine Unterkunft für Touristen gibt es hier, die Yandup Island Lodge des 72-jährigen Eligio Alvarado.

Regeln, wie Tourismus funktioniert

In den 1970er-Jahren stand er als Gouverneur der Region vor, in jener Zeit, in der in der Gegend die ersten Unterkunftsmöglichkeiten entstanden. "Die erste Lodge wurde von zwei Gringos errichtet. Damit begannen die Konflikte." Die Amerikaner ignorierten die Geldforderungen der Indianer, bis diese sie gewaltsam vertrieben. "Seit damals gibt es klare Regeln, wie bei uns der Tourismus funktioniert."

Nur eine Unterkunft für Touristen gibt es hier, die Yandup Island Lodge des 72-jährigen Eligio Alvarado.
Foto: Stephan Hilpold

Zählt Alvarado sie auf, kriegt seine Stimme einen schneidenden Unterton: "Es darf ausschließlich im Einklang mit der Natur von Kuna-Indianern mit Genehmigung des Dorfparlaments gebaut werden." Alvarado zeigt auf ein etwa einen Kilometer entferntes, von wenigen Palmenhütten gesäumtes Inselchen: "Hinter der Lodge auf der Insel Iskardup steckten panamaische Investoren." So schnell sie errichtet wurde, musste sie auch wieder schließen.

Unter den acht verschiedenen Indianerstämmen, die in Panama leben, sind die Kuna jene, die als Allererste eine eigene "camorca", ein eigenes Verwaltungsgebiet, etablieren konnten. 1952 war das, 28 Jahre, nachdem sie sich in einem blutigen Aufstand gegen ihre Unterdrückung zur Wehr setzten. Die Hälfte der Kuna lebt auch heute noch auf den Inseln, die andere in und um Panama-Stadt. Mit ihren buntgemusterten Kleidern, dem um Unterarme und Schenkel gewickelten Glasperlenschmuck und der Tätowierung entlang des Nasenrückens sind vor allem die Frauen sofort zu erkennen.

13 Prozent Indigenas

Auch im Wolkenkratzerdschungel von Panama-Stadt stechen sie mit ihrer geringen Körpergröße heraus. Auf Märkten verkaufen sie "molas", aufwendig bestickte Tücher, oder handeln mit Früchten. Am Wohlstand der Mehrheitsbevölkerung (wie immer dieser auch zustande gekommen ist) partizipieren sie kaum. Ganze 13 Prozent der Bevölkerung Panamas sind Indigenas, die meisten von ihnen leben unter der Armutsgrenze.

Mit ihren buntgemusterten Kleidern, dem um Unterarme und Schenkel gewickelten Glasperlenschmuck und der Tätowierung entlang des Nasenrückens sind vor allem die Frauen sofort zu erkennen.
Foto: Stephan Hilpold

Vor allem in den "camorcas" sind sauberes Trinkwasser, ärztliche Versorgung, Elektrizität und Schulbildung rar. Auch in der Lodge von Eligio Alvarado fällt an diesem Tag die Wasserversorgung aus. Die Wasserleitung, die von einem Wasserfall in den Hügeln am Festland gespeist wird, muss gereinigt werden. "Die Wasserversorgung ist eines unserer größten Probleme", bestätigt Alvarado. Obwohl auf vielen der Palmhütten in Playón Chico Satellitenschüsseln montiert sind, leben die Kuna in vielerlei Bereichen beinahe noch wie vor 200 Jahren, als sie aus Kolumbien nach San Blas gezogen sind.

Welt im Wandel

Ihr bevorzugtes Transportmittel ist der Einbaum, gegessen wird, was das türkisblaue Meer, die Mangobäume und Yukkapflanzen am Festland hergeben. Was auf die Besucher wie ein Garten Eden wirkt, ist für die Indianer eine Welt im Wandel. "Es hat sich in den letzten Jahren sehr viel verändert", sagt Alvorado, "von der Stärke des Allgemeinen Rats wird abhängen, ob wir unsere Lebensweise auch in Zukunft erhalten können." Der Allgemeine Rat tagt einmal im Jahr, hier werden alle wichtigen Entscheidungen getroffen. Teilnehmer sind die Oberhäupter der unterschiedlichen Dorfparlamente. Jeden Tag kommen diese im Versammlungshaus zusammen.

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Ein anderer Dschungel: Die Wolkenkratzer in Panama City
Foto: REUTERS/Carlos Jasso

Auf jenes in Playón Chico weist Adalberto Blanco anderntags beim Spaziergang durch das Dorf mit besonderem Nachdruck hin. Seitdem auf Yandup 1999 die erste Pfahlhütte errichtet wurde, ist Blanco für die Exkursionen zu unbewohnten Palmeninseln, den beiden Friedhöfen am Festland (die Kunas sind für ihre aufwendigen Totenrituale bekannt) oder eben nach Playón Chico zuständig.

Entscheidungen aus der Hängematte

Zwei Dorfoberhäupter liegen an diesem Nachmittag in Hängematten im Versammlungshaus, nacheinander tragen die Dorfbewohner ihre Probleme vor. "Der junge Mann bittet um Erlaubnis, nach Panama-Stadt reisen zu dürfen", übersetzt Blanco. Wie die meisten Inselbewohner hat auch er San Blas erst einige Male verlassen.

Jede Reise außerhalb der "camorca" ist für die Kuna eine Reise in eine andere Welt. Wie in wenigen anderen Ländern prallen in Panama die zivilisatorischen Gegensätze mit voller Wucht aufeinander. Hier der Wohlstand einer Steuerfluchtoase mit Preisen, die sich mit Miami messen können, dort die Einbaumrealität der Indigenas. Gezahlt wird mit Dollars, betritt man in Panama-Stadt einen Supermarkt, wähnt man sich in den USA. Einige hundert Kilometer weiter nördlich von San Blas, in der Inselwelt von Bocas del Toro, liegen die Unterschiede noch näher beieinander.

Auf der ruhigen Westseite der Hauptinsel stehen die Overwatervillas des Punta Caracol Acqua Lodge.
Foto: Stephan Hilpold

Auf Bocas hat der Tourismus schon lange Fuß gefasst, kaum ein Backpacker auf Lateinamerika-Trip, der sich nicht für einige Tage in ein Hostel auf einer der von Mangroven bewachsenen Inseln einquartiert. Mehrmals am Tag landen auf dem Rollfeld die Maschinen der Air Panama. Betagte Amerikaner residieren auf der Ostseite der Hauptinsel, wo die Brandung der Karibik auf von Palmen gesäumte Traumstrände trifft, auf der ruhigen Westseite stehen die Overwatervillas der Punta Caracol Acqua Lodge, wo eine Nacht mehr kostet, als eine durchschnittliche Ngäbe-Familie monatlich zur Verfügung hat.

Schmuck und Handtaschen aus Pflanzenfasern

Die Ngäbe sind die größte indigene Gruppe in Panama (rund 180.000). Im Unterschied zu den Kuna verfügen sie über kein geschlossenes Siedlungsgebiet. Als Christoph Kolumbus 1502 in Bocas landete, waren es Ngäbe, auf die er stieß. Auch heute noch gibt es im Bocas-Archipel zahlreiche Indigena-Dörfer. "Möchten wir unsere Kinder in die Schule nach Bocas schicken, kostet allein die Bootsfahrt zehn Dollar", erzählt Hirma Wigle. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie im Mangrovendorf Sandubidi auf der Laguneninsel Popa 2. Ihr Mann arbeitet im nahe gelegenen Touristenresort Popa Paradise, sie selbst stellt Schmuck und Handtaschen aus Pflanzenfasern in Heimarbeit her. 250 Menschen leben im Dorf, 108 davon sind Schüler.

Glasklares Wasser rund um die Laguneninsel Popa 2: Ein Blick aufs Paradies.
Foto: Stephan Hilpold

Erst 2007, nach vielen Jahren des Kampfes, wurde den über mehrere Provinzen verstreut lebenden Ngäbe eine eigene "camorca" zugesprochen. Neben dem Fußballplatz in der Mitte des Dorfes stehen Gemeinschaftsklos, das Gesundheitszentrum ist seit vielen Jahren eine Baustelle. Die Kinder laufen nackt herum, viele der Männer liegen in Hängematten. Anders als bei den Kuna, die beinahe autark leben, sind hier die zivilisatorischen Einflüsse offensichtlich. Die Touristenlodges auf den umliegenden Inseln bieten Arbeitsplätze – entfremden die Ngäbe aber gleichzeitig immer stärker von ihrer traditionellen Lebensweise. Viele der Familien wandern ab.

"Der Weg nach Panama-Stadt ist weit", seufzt Hirma Wigle. Fast so weit wie jener von den San-Blas-Inseln. (Stephan Hilpold, Rondo, 22.4.2016)