Der Hauptangeklagte Mirsad O. gilt als führender ideologischer Kopf der heimischen Islamistenszene. Er soll IS-Kämpfer rekrutiert haben.

Zeichnung: Joseph Fitzgerald

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Graz – Jetzt nur keine Fehler machen. In diesem gesellschaftspolitisch hochsensiblen Prozess will sich der Richter keine Blöße geben. Minutiös, Stück für Stück, hat er in den vergangenen Wochen die Beweisanträge der Verteidigung abgearbeitet.

Er versuchte auch Zeugen im syrischen Kriegsgebiet ausfindig zu machen, etwa einen Priester in einem nordsyrischen Dorf. "Die Post wird dort sicher nicht durch die Minenfelder spazieren, die E-Mails landen auf einer Box, und die Telefonnummer funktioniert nicht", resümiert der Richter am Montag die ergebnislosen Bemühungen, den Geistlichen als Zeugen einzuvernehmen. Es ist jener Pfarrer, bei dem der angeklagte mutmaßliche IS-Kämpfer gewesen sein will – just zu jenem Zeitpunkt, als er laut Anklage an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein soll.

Nach zwei Monaten Verhandlungspause sitzt der gebürtige Tschetschene, der mit seiner Familie in Österreich lebt, also nun wieder gemeinsam mit dem angeklagten Prediger Mirsad O, der als führender ideologischer Kopf der heimischen Jihadistenszene gilt, vor dem Grazer Richter. Bis zu elf bewaffnete und vermummte Polizisten stehen zur Bewachung verteilt im Gerichtsaal.

Seit Herbst 2014 in U-Haft

Mirsad O., der sich als Prediger Ebu Tejma nennt, war im Zuge einer Razzia, die zeitgleich in Wien, Graz und Linz stattfand, festgenommen worden. Er sitzt seit Herbst 2014 in U-Haft, und ihm wird vorgeworfen, junge Muslime als IS-Kämpfer angeworben zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass auch der Mitangeklagte von ihm angeheuert worden ist. Beide bestreiten alle Anschuldigungen.

Die Verteidigung fordert Sachbeweise und jede Menge an Zeugen, die belegen sollten, dass der Prediger niemanden zum Jihad angestiftet habe und dass der Zweitangeklagte tatsächlich nur als Hilfskraft bei Rettungseinheiten in Syrien tätig gewesen sei.

Der Richter wird sie, soweit verfügbar, alle in den Zeugenstand holen. Den Beginn macht am Montag ein aus dem Gefängnis vorgeführter Zeuge. Doch bevor er befragt wird, müssen Medien und Zuschauer aus dem Raum. Der Richter schildert den Hintergrund für seine Entscheidung: Schon in bereits verhandelten "Jihadistenprozessen" hätten Zeugen Bedenken geäußert, gegen Angeklagte auszusagen. Sie fühlten sich bedroht, sagt der Richter, und fürchteten um ihr Leben.

"Spione" im Gerichtssaal

Den Ausschlag gab der Hinweis einer Zeugin, sie habe vor ihrer Einvernahme Droh-SMS erhalten. "Wir sind dem nachgegangen, das war aber so professionell gemacht, dass wir keinen Absender eruieren konnten", sagt der Richter. Da nicht auszuschließen sei, dass Personen im Saal säßen, die Informationen weitergeben würden, um so Zeugen unter Druck zu setzen, werde die Öffentlichkeit bei allen Zeugeneinvernahmen bis auf weiteres ausgeschlossen.

Eine Information eines Zeugen dürfte den Richter besonders irritiert haben. Dieser verfügte über genaue Kenntnisse über die Aussagen eines im Schutzprogramm stehenden Zeugen, der gegen den angeklagten mutmaßlichen IS-Kämpfer ausgesagt hatte. Auch der Kronzeuge war in Syrien und will den Angeklagten bei Kampfhandlungen beobachtet haben.

Dass die Infos quasi über einen "Spion" nach außen getragen worden sind, ist für den Richter mit ein Grund, Zuhörer auszusperren.

Zuvor aber kam der Richter noch einem Beweisantrag nach und ließ ein Video abspielen, das nach jenem Massaker aufgenommen wurde, mit dem der mutmaßliche IS-Kämpfer von der Staatsanwaltschaft in Verbindung gebracht wird. Schwer zu ertragende Bilder für die Geschworenen an diesem Verhandlungsvormittag.

"Ich habe damit nichts zu tun"

Der angeklagte Islamprediger gab umgehend zu Protokoll: "Ich habe damit nichts zu tun." Wortgleich der zweitangeklagte mutmaßliche IS-Kämpfer: "Ich habe damit auch nichts zu tun. Das ist mir alles unbekannt."

Der Prozesstag begann übrigens mit einer mehr als einstündigen Verspätung. Einige Geschworene hatten den Termin vergessen und mussten von ihren Arbeitsstellen geholt werden. (Walter Müller, 1.4.2016)