Bild nicht mehr verfügbar.

"Die Maus herumschieben" sei keine anstrengende Arbeit, richtet St. John Games-Entwicklern aus.

Die Games-Branche ist nicht immer ein einfacher Arbeitsplatz. Die Entwicklung von Spielen ist komplex und fordernd, oft müssen mit knappen Ressourcen enge Abgabefristen eingehalten werden. Nicht selten ringen Unternehmen ihren Entwicklern in der Endphase eines Projektes dabei unbezahlte Überstunden ab. In einer Umfrage gaben 37 Prozent aller teilnehmenden US-Entwickler an, davon betroffen zu sein, berichtet Venturebeat.

Ein weit verbreitetes Phänomen, das den Namen "Crunch Time" erhalten hat. Die International Game Developers Association (IGDA) hat dieser Praxis nun den Kampf angesagt. In Zukunft wolle man Firmen hervorheben, die es schaffen, ihre Spiele umsetzen zu lassen, ohne Mitarbeiter zu Gratis-Arbeit zu nötigen. Bessert sich die Situation nicht, sollen aber auch Verstöße angeprangert werden.

St. John gegen "Lohnsklaven-Einstellung"

Alex St. John, der einst zu den Erfindern von Microsofts DirectX-Plattform zählte, später mit seinem Unternehmen WildTangent mit zahlreichen Spielefirmen kooperierte und heute die technischen Belange des sozialen Gaming-Netzwerks Hi5 leitet, stößt dieses Vorhaben sauer auf.

"Mir ist mein Kinn fast auf den Boden gefallen, als ich diesen Artikel gelesen habe", leitet er seinen ebenfalls auf Venturebeat publizierten Beitrag ein. Insbesondere die im Text getätigte Schlussfolgerung, dass regelmäßige, unbezahlte Überstunden eine folge schlechten Managements wären, lehnt er ab. "Es wird so getan, als könnte man eine inhärent unternehmerische Tätigkeit wie das Spiele-Entwickeln in einen 9-to5-Job verwandeln", moniert er und ruft Entwickler auf, ihre "Lohnsklaven-Attitüde" abzulegen.

"Herumschieben der Maus" ist keine Arbeit

Dabei verweist er auch auf seinen eigenen Werdegang, der dem klischeeisierten "amerikanischen Weg" des Tellerwäschers zum Millionär nahe kommt. "Ich bin in einer Holzhütte aufgewachsen, ohne Strom, fließendem Wasser, Heizung oder Kabelfernsehen", so St. John. Als jemand, der zu Hause unterrichtet wurde, habe er auch keinen Highschool-Abschluss. Doch eine der tollen Seiten der Spielebranche sei es, dass man einen solchen auch nicht unbedingt brauche, um aufzusteigen.

Er müsse zwar seit 23 Jahren kein Plumpsklo mehr verwenden oder sein Essen selber jagen, trotzdem sei er immer noch begeistert von "dekadentem Luxus" wie Porzellan-WCs und Fast Food. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie behütet das Leben heutiger Angestellter in der Tech-Branche sein muss, dass sie denken, dass das Herumschieben einer Maus anstrengende Arbeit sei", meint er. Er habe im Laufe seiner Karriere mittlerweile schon tausende Leute angestellt und ihm falle auf, dass immer mehr eine "Arbeitssklaven-Mentalität" pflegten und sich als Opfer wahrnehmen.

Unverständnis für Burnouts

Selbst Leute mit langjähriger Erfahrung, die an großen Games-Produktionen mitgearbeitet haben, würden sich über Überstunden oder unfaire Bezahlung beschweren. Sie verhielten sich seiner Ansicht nach so, als wären sie in einem Entwicklungsland gefangen, um "nach Blutdiamanten zu schürfen". St. John ist es auch ein Rätsel, dass man als Spieleentwickler in einen "Burnout" geraten kann.

Wer keine 80 Stunden arbeiten mag, soll "üben"

Dabei gehe es nur im die Einstellung, denn jeder "legendäre Spieleentwickler", den er getroffen hätte, würde seinen Beruf aus Leidenschaft ausüben. Die meisten davon hätten in anderen Branchen mehr verdienen und mit einer besseren Work-Life-Balance leben können. "Spiele-Entwickeln ist keine Arbeit, sondern Kunst", so seine Schlussfolgerung.

Wer sich überanstrengt oder unfair behandelt fühle, weil er für den Abschluss eines Projektes 80 Stunden pro Woche arbeiten müsse, ohne Kompensation für die Überstunden zu bekommen, solle entweder so lange üben, bis er darin besser würde, oder die Branche wechseln. Wer mit diesen Bedingungen nicht klar komme, solle seine Arbeit jemandem überlassen, der sie "liebend gerne machen" würde.

Kritik: Spiele-Entwickeln ist hochkomplexe Arbeit

St. Johns kontroverse Aussagen haben mittlerweile für einige Kritik gesorgt. So hält ihnen etwa der Spieleentwickler Rami Ismail einige Argumente entgegen. Er zeigt sich entsetzt, dass die "Crunch Time" auch 2016 immer noch ein gängiges Problem in der Branche ist. Zudem weist er St. John darauf hin, dass die Entwickler selbst keine Unternehmer seien, sondern Angestellte. Das bedeute per Definition, dass sie für eine vereinbarte Zeit von Arbeitsstunden bezahlt würden.

Die Behauptung, Entwickler würden lediglich ihre Computermäuse herumschieben, weist er entschieden zurück. Programmierer arbeiten stets an der Grenze ihrer geistigen Fähigkeiten mit hochkomplexem und umfangreichem Programmcode. Modeller und Künstler bedienen wiederum komplizierte Software, um schöne Grafik und Animationen zu schaffen.

Musiker sind in einem permanenten kreativen Prozess, um Spiel und Ton auf originelle Weise zu verschmelzen. Designer entwickeln Ideen und Interaktion und müssen dazu auch stets im Austausch mit Spielern und Testern sein. Viele Berufe im Games-Umfeld seien hochspezialisiert.

Work-Life-Balance wichtig

Unverständnis äußert er auch dafür, dass St. John die Leidenschaft für den Beruf mit der Bereitschaft zu zahllosen unbezahlten Überstunden gleichsetzt. "Du musst ein sehr trauriges Leben führen, wenn du deine berufliche Passion nicht vom Bedürfnis nach einem gesunden Leben trennen kannst", richtet er ihm aus.

Auch andernorts, etwa auf Reddit, wird der Artikel von St. John diskutiert. Hier wird etwa ins Treffen geführt, dass die Games-Branche, die mittlerweile die Filmbranche in Sachen Umsatz überholt hat, sehr wohl die Ressourcen haben sollte, faire Löhne und Arbeitszeiten zu ermöglichen. Insbesondere gelte das für große, erfolgreiche Firmen.

Einst von Microsoft gefeuert – wegen Burnout

Dazu ist ein älteres Portrait von St. John aufgetaucht, das einst auf der Seite "Information Technology Leaders" erschienen ist. In diesem wird festgehalten, dass er es 1997 geschafft hatte, von Microsoft gekündigt zu werden, in dem er sich selbst in den Burnout getrieben hatte.

So soll er öfters mit dem Kopf auf der Tastatur eingeschlafen und am Morgen in der Konferenz mit den Tastenabdrücken im Gesicht erschienen sein. Bei seinem Abschied aus dem Konzern habe er sich, so das Zitat, "um 100 Pfund leichter gefühlt".

St. John zeigt sich unbeeindruckt

Bisher scheint ihn die Kritik an seinen Worten allerdings kalt zu lassen. Stattdessen hat der Unternehmer auf seinem Blog mehrere Reaktionen "fauler, millenialer Spieleentwickler-Hipster" dokumentiert. (gpi, 21.04.2016)