Jeder fünfte Bub und jedes sechste Mädchen in Österreich ist laut Statistik stark übergewichtig oder sogar adipös.

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Wien – Viele zucker- und fetthaltige Versuchungen für Kinder, wenig Bewusstsein für gesunde Nahrungsmittel unter Eltern und mangelnde Bewegung sind Probleme, die das Hilfswerk Österreich am Montag bei einer Pressekonferenz zum Thema machte – und für die der Verein auch gleich einen konkreten Lösungsvorschlag mitlieferte. So fordert Hilfswerk-Präsident Othmar Karas deshalb verpflichtende Beratungsgespräche über gesunde Ernährung und Bewegung für Eltern.

Dafür soll es je fünf individuelle Gespräche für Erziehungsberechtigte von Null-bis Zehnjährigen geben, deren Kosten – geschätzt rund 300 Euro je Kind – die öffentliche Hand tragen soll. Bei rund 840.000 Null- bis Zehnjährigen würde das gut 250 Millionen Euro ausmachen.

Fünfmal zur Beratung

Väter und Mütter sollen laut Hilfswerk-Vorschlag zu fünf Zeitpunkten eine Beratungseinheit in Anspruch nehmen: im ersten Lebenshalbjahr und zu Beginn des zweiten Lebensjahres ihres Kindes, mit Beginn der Fremdbetreuung (also etwa bei Einschreibung in den Kindergarten), bei Eintritt des Kindes in die Volksschule sowie weiters beim Wechsel in eine weiterführende Schule.

Die Absolvierung der ersten Gespräche könnte also, so die Idee, im Rahmen des Mutter-Kind-Passes vorgeschrieben werden. Auch eine Sanktionierung für den Fall, dass Beratungsgespräche nicht wahrgenommen werden, hielte man seitens des Hilfswerks für sinnvoll. Derzeit ist die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes an den Nachweis vorgeschriebener Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen gekoppelt. Bei den späteren Beratungsgesprächen könne man die Vorlage des Nachweises bei der Schuleinschreibung verlangen, so der Vorschlag.

Mutter-Kind-Pass-Reform

Über eine Reform des Mutter-Kind-Passes laufen derzeit Gespräche in Expertengremien. Im Gesundheitsministerium hieß es dazu, dass der Pass derzeit als Vorsorge-Screening-Modul fungiere. Die Überprüfung, ob eine Beratung stattfinde, wie vom Hilfswerk gefordert, wäre demnach ein Bruch mit dem bisherigen System. Übergewicht als Risiko für Schwangere sei aber sehr wohl ein Thema bei den Beratungen zur Reform des Mutter-Kind-Passes. Parallel dazu habe man für die "Vorsorgestrategie Ernährung" seit 2011 insgesamt sieben Millionen Euro ausgegeben – etwa für workshopartige Veranstaltungen über gesunde Ernährung. Derlei Events seien für Schwangere kostenlos.

Soll bei nur drei von vier Schülern

Wie viele Kinder in Österreich in welchem Ausmaß von Übergewicht betroffen sind, ist statistisch nicht erfasst. Einer bereits 2005/06 vom Grünen Kreuz für Vorsorgemedizin durchgeführten Studie zufolge hatten damals nur drei von vier Schülern ihr Sollgewicht, jeder fünfte Bub und jedes sechste Mädchen war stark übergewichtig oder sogar adipös.

Paradoxerweise gibt es so viel Wissen über gesunde Ernährung, über die Nachteile von Übergewicht und die Vorteile von Bewegung wie noch nie, zugleich aber immer mehr übergewichtige Menschen, Diabetiker und Leute, die von Essstörungen betroffen sind. "Es hat den Anschein: Je mehr Experten, desto größer ist die Verunsicherung", sagte Ernährungswissenschafterin Christina Lachkovics-Budschedl. Ein Manko ortet sie beim Wissen von Eltern, was denn "richtige" Erziehung für ihre Kinder ist.

Mit den Eltern arbeiten

Skepsis gegenüber dem Vorschlag kam aus dem Publikum: Nicht am Wissen scheitere es, meinte Kurt Widhalm, Kinderarzt und Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin. Denn erfahrungsgemäß seien gerade übergewichtige Menschen am besten über das Problem informiert. Eine weitere Befürchtung des Mediziners: "Mit kostenlosen Dingen erreichen wir gar nichts", denn "kostenlos" werde vielfach mit "sinnlos" gleichgesetzt. (APA, spri 18.4.2016)