Es gibt keine linke Politik mehr beim Flüchtlingsthema. Zumindest nicht in dem Sinne, wie man linke Asylpolitik bis vor einem halben Jahr definiert hätte. Das verunsichert die Genossen, wie man beim Landesparteitag der Wiener Sozialdemokraten am Wochenende eindrucksvoll beobachten konnte.

Noch vor wenigen Monaten verglich Kanzler Werner Faymann Viktor Orbáns Flüchtlingspolitik mit der NS-Zeit ("weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents"), jetzt sind Grenzzäune auch in Österreich zur Selbstverständlichkeit geworden. Beim Landesparteitag musste sich Faymann deshalb Transparente mit der Aufschrift "Faymann, du Orbán" vorhalten lassen.

Auch die Abgrenzung den Freiheitlichen gegenüber wird immer schwieriger. Warum ist Strache, der den Asylkurs massiv verschärfen will, ein "Hetzer" (Zitat Faymann und Häupl), wenn gleichzeitig im Parlament über eine Notstandsverordnung diskutiert wird, mit der das Recht auf Asyl drastisch beschnitten werden könnte? Das verunsichert die Genossen.

Vor allem, weil es nicht nur der von vielen verhasste Faymann ist, der die 180-Grad-Kehrtwende hingelegt hat. Auch der im Vorjahr für sein menschliches Krisenmanagement vielgelobte Hans Peter Doskozil hält den strengen Kurs für alternativlos. Und selbst ein Michael Häupl, der sein Bürgermeisteramt mit dem Wien-schafft-das-Kurs retten konnte, hat bisher inhaltlich allem zugestimmt, was Faymann mit der ÖVP ausgehandelt hat. Das verunsichert die Genossen.

Inhaltlich kann man natürlich darüber streiten, wann ein Notstand erreicht ist. Dass derzeit der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung drohen würde, kann wohl niemand ernsthaft behaupten. Aber deshalb ist es nicht illegitim, sich auf derartige Szenarien vorzubereiten.

Ähnliches gilt für die Grenzsicherung. Kein Mensch hat im Vorjahr verstanden, wieso es über Monate nicht gelungen ist, eine lückenlose Registrierung aufzubauen. Jetzt bereitet man sich am Brenner und an anderen Grenzübergängen für alle Eventualitäten vor. Nicht mehr und nicht weniger. Es handelt sich um einen vorausplanenden Akt, weil es auf europäischer Ebene nach wie vor an Solidarität mangelt. Das verunsichert die Genossen.

Sind jetzt alle rechtsextrem, die versuchen, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren oder diese Versuche zumindest für legitim halten? Natürlich nicht. Das wäre zu simpel. Einfache Antworten auf die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik gibt es leider nicht. Selbst Vertreter des linken Flügels räumen ein, dass Österreich nicht über Jahre 100.000 oder mehr Flüchtlinge aufnehmen, integrieren und auf dem Arbeitsmarkt unterbringen kann.

Wenn es um Alternativvorschläge geht, handelt es sich meist um solche, die Österreich entweder nicht selbst in der Hand hat (Bürgerkriege in Syrien, Irak und Afghanistan beenden), oder um solche, die realpolitisch kaum bis gar nicht umzusetzen sind (Österreich muss auf EU-Ebene auf eine bessere Verteilung drängen).

Es gibt also nur schlechte beziehungsweise unbefriedigende Optionen, die zum Teil im Widerspruch zu den traditionellen Werten der Sozialdemokratie stehen. Das verunsichert und frustriert die Genossen. Wer regieren will, muss sich diesem Dilemma aber stellen. Das zu erklären, wird die Herkulesaufgabe für Faymann und Häupl. Sie wird genauso schwer wie der Umgang mit der Flüchtlingskrise. (Günther Oswald, 17.4.2016)